Freizeit

Wenn Warmduschen zu langweilig wird

21. Juni 2021
Stell dir vor, es ist Winter, die Schneeflocken rieseln friedlich vor dem Fenster nieder, der süße Geruch deines warmen Kakaos kitzelt deine Nase und dann stapft vor deiner Haustür ein Verrückter in Badehosen durch den Schnee. Was das zu bedeuten haben könnte… mehr dazu in meinem Erfahrungsbericht.
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von Luc Adrian Beutin

Seit mehreren Jahren geistern vermehrt zahlreiche Anekdoten durchs Netz, welche die Praxis des Eisbadens neu aufleben lassen, sie teilweise nahezu glorifizieren und die Kaltwassertherapie für ihre belebenden, positiven gesundheitlichen Auswirkungen auf den Körper rühmen. Nachdem mir nun immer wieder eine Hülle überaus populärer Videos auf YouTube des für seine Weltrekorde berühmten Icemans, Wim Hof, vom Algorithmus untergejubelt wurde (die Webseite muss meinem Faible für fragwürdige Selbstexperimente auf die Schliche gekommen sein), wurde ich zunehmend neugieriger und wollte erfahren, ob ich der Kaltwasserimmersion irgendetwas Positives abgewinnen könnte. Und welch bessere Methode gibt es, als genau dies am eigenen Leibe auszutesten?

Ich begann also, von November bis Februar fast tagtäglich in die Fluten des Inns zu springen – wobei mit klappernden Zähnen und vor Kälte schmerzverzerrtem Gesicht hineinstolpernd es wohl besser trifft. Sogleich sammelte sich in aller Regel eine kleine handyfilmende Menschentraube, die mich des Öfteren darauf ansprach, was denn eigentlich der Sinn und Zweck sei, sich freiwillig solchen Martern auszusetzen – ob das Wasser nicht kalt sei (der Klassiker) und ob ich davon nicht zwangsläufig krank werden müsse.
Ebendiesen Fragen versuchte auch ein niederländisches Forschungsteam auf den Grund zu gehen und untersuchte daher über dreitausend Teilnehmende, um zu beobachten, inwiefern Kaltduschregimente unterschiedlicher Dauer und Intensität die subjektiv wahrgenommene Gesundheit gegenüber einer warmduschenden Kontrollgruppe beeinflussen würde. Tatsächlich wurden innerhalb der kaltduschenden Versuchsgruppe weniger krankheitsbedingte Absenzen auf der Arbeit verzeichnet als zu erwarten gewesen wäre (-29%). Die Gesamtanzahl der Krankheitstage auf den kompletten Untersuchungszeitraum bezogen (also Arbeit + Freizeit) blieb jedoch identisch und veränderte sich nicht durch die Intervention; dadurch stellte das Forschungsteam die Hypothese auf, dass die Kältetherapie lediglich das mindset durch den Aufbau von Willensstärke positiv beeinflussen würde bzw. dass die zu erleidenden Krankheiten – sollten sie auftreten – als weniger gravierend wahrgenommen wurden.

Auch wenn ich persönlich keine nennenswerten Gesundheitsveränderungen in den Monaten bemerkt habe, außer dass ich unerwarteterweise kaum krank war – was aber zweifelsohne auch den verschärften Hygienemaßnahmen zu verdanken war – so möchte ich zumindest die psychischen Aspekte etwas hervorheben: Trotz zunehmender Leichtigkeit und sich verbesserndem Durchhaltevermögen bei vermehrter Kälteexposition war so ziemlich jedes Eisbad mit enormer Überwindung und essenzieller Konzentration verbunden. Gerade dieser körperbezogene Fokus sollte einem ein ständiger Begleiter bei derartigen Aktionen werden: „Möchtegern-Eisbader verliert das Bewusstsein, driftet bei 1° ab und muss reanimiert werden“ – das sollten meine Eltern beim Durchblättern der nächsten Tageszeitung nun nicht unbedingt lesen müssen.

 © Privat. 

Zudem verbessert man durch die konsistente tagtägliche Kälteexposition mit der Zeit zwangsläufig auch die meditativ anmutende Atemtechnik à la Wim Hof, dem niederländischen Bezwinger zahlreicher Kälterekorde, welche typischerweise durch eine Kombination von dreißigmaliger forcierter tiefer Inspiration und Exspiration das Ausharren im Eiswasser stark erleichtern soll.
Mit ebendieser Atemtechnik versucht das Team um den Niederländer seit Jahren der medizinischen Fachwelt zu beweisen, dass bewusste Kontrolle über gewisse Bereiche des autonomen Nervensystems – wobei es ja per Definition autonom sein sollte – erlernbar sei (zukünftige Anatomiestudierende freuen sich schon bestimmt auf das Lernen einer weiteren vegetativen NS-Subgruppe). Und tatsächlich lassen sich bei dieser Beweismission einige zaghafte Erfolge vorweisen: So fielen bei einer für zehn Tage in Wim Hofs Atemübungen trainierten Versuchsgruppe bei der Exposition gegenüber Bakterien, welche für gewöhnlich influenzasymptomartige Beschwerden hervorrufen sollten, weitaus weniger drastische Infektionsauswirkungen gegenüber der Kontrollgruppe auf. Zudem war die Menge proinflammatorischer Mediatoren merklich verringert – einfach nur durch gezielte Atmung! Das Forschungsteam stellte daher die bewusste Aktivierung des sympathischen Nervensystems in den Raum, welche fortgehend weiter untersucht wird.

Wie dem auch sei – ob eine verbesserte Kontrolle über das Nervensystem oder langfristige Gesundheit wirklich durch diese Methode erreichbar sind, wird sich wohl noch zeigen, aber Fakt ist: Die Blicke, die man lediglich in Badehosen bekleidet beim Vorbeigehen an in Winterpelzen eingemummelten Menschen bekommt, kombiniert mit einem saftigen Adrenalinkick beim Gang ins kalte Nass, sollten selbst den hartgesottensten Warmduschern einen Versuch im Eisbad mal Wert sein.

Luc

Luc

Redakteur