Thema, Corona

Erfahrungen auf der Corona-Intensivstation

18. Mai 2021
Als in der dritten Welle die Inzidenz der Coronafälle immer weiter stieg und die Intensivstationen immer voller wurden, wurde ich in dem Krankenhaus, wo ich eigentlich als studentische Aushilfe im OP arbeite, gefragt, ob ich zusätzlich mit auf der Intensivstation aushelfen könne. Erfahrungen, die ich dort gemacht habe, waren im Laufe meines Medizinstudiums bis jetzt die extremsten, die eindrucksvollsten und die, die mich am meisten bewegt haben.
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von Emma Wenzel

Ich habe viele Dokumentationen über die Arbeit auf den Corona-Intensivstationen gesehen und auch durch die Erzählungen meiner Mutter, die selbst Intensivkrankenschwester ist, habe ich gedacht, ich könne mir vorstellen, wie es ist, dort zu arbeiten. Aber jetzt glaube ich, das kann man nur, wenn man selbst einmal dort gearbeitet und gesehen hat, wie es den Menschen vor Ort geht – sowohl den Coronapatient:innen als auch denen, die diese versorgen. Jedenfalls wurde es für mich das erste Mal wirklich real, als ich selbst – „verkittelt“, mit doppeltem Paar Handschuhen und Schutzbrille – im Zimmer eines Coronapatienten stand:

Ein 42-jähriger Familienvater ohne Vorerkrankungen, der gerade nach zehn Tagen künstlicher Beatmung extubiert worden war. Er war zwar wach und ansprechbar, uns adäquat antworten oder selbstständig seine Arme und Beine bewegen konnte er aber noch nicht. Dieser junge Mann stand mitten im Familien- und Berufsleben – und auf einmal war er vollständig pflegebedürftig. Ich hatte den Eindruck, er verstand genau, was mit ihm passiert ist, aber er war körperlich so schwach, dass er nichts gegen seinen Zustand tun konnte. Jedenfalls denke ich, dass er so gefühlt haben muss, da er die ganze Zeit Tränen in den Augen hatte. Es schien ihm bewusst zu sein, was seinem Körper widerfahren ist, aber Kontrolle hatte er über diesen gerade keine. Das muss ein schreckliches Gefühl sein. Umso beeindruckender war es für mich, wie die junge gerade frisch examinierte Krankenpflegerin mit dieser Situation umgegangen ist. Sie kommunizierte dem Patienten jeden Arbeitsschritt, den sie durchführte und versuchte ihn immer wieder mit ihren Worten aufzubauen und ihm Mut zu machen, dass er weiterkämpfen soll, um bald wieder bei seiner Familie sein zu können. Und tatsächlich hat er es geschafft – dieser junge Mann hat den Kampf gegen Covid-19 gewonnen. Die Entwicklung dieses Patienten hat mich sehr berührt. Jeden Tag hat er Fortschritte gemacht und nicht aufgegeben. Fünf Tage nachdem ich ihn das erste Mal gesehen habe, konnte er mit unserer Hilfe wieder an der Bettkante sitzen und langsam verbesserte sich auch endlich sein Sprachvermögen. Hätte er nicht die Hilfe der Intensivstation und keinen Beatmungsplatz bekommen, wäre er vermutlich an der Infektion gestorben. Als die Krankenpflegerin ihm sagte, dass sie erst in fünf Tagen wiederkomme, da sie ein paar Tage frei habe, war er sehr bedrückt und hat noch mehrmals gefragt, ob sie noch einmal in sein Zimmer kommen könne. Diese Krankenpflegerin hat mich extrem beeindruckt und mir gezeigt, was für eine wahnsinnig wichtige und anspruchsvolle Arbeit die Pflegekräfte in der Pandemie leisten.

Der junge Familienvater war leider kein Einzelschicksal – eine Zeit lang war die gesamte Intensivstation des Krankenhauses beinahe ausschließlich mit Patient:innen belegt, die an Covid-19 erkrankt waren. Wurden Patient:innen mit sehr schwerer Symptomatik aufgenommen, bei denen weder die Sauerstoffgabe über eine Nasenbrille oder die NIV (noninvasive ventilation) eine Besserung ergaben, gab es fast immer nur zwei Möglichkeiten, wie man weiterverfahren sollte. Entweder man würde versuchen zu intubieren oder die Patient:innen würden höchstwahrscheinlich versterben. Die Entscheidung über die Intubation und folglich das Einleiten des künstlichen Komas fiel vielen Angehörigen oft sehr schwer, da sie sehr plötzlich und in kurzer Zeit gefällt werden musste. Die Möglichkeit, dass der oder die Erkrankte versterben würde, war für viele nicht greifbar.

In einem Nachtdienst hatten wir genau diese Situation – ein älterer Patient war am Abend aufgenommen worden – sein Allgemeinzustand und seine Blutgase verschlechterten sich rapide. Um ein Uhr nachts kam der Sohn noch einmal ins Krankenhaus, da die Ärzt:innen schnell eine Entscheidung brauchten, ob sie versuchen sollten zu intubieren, um dem Leben des Mannes eine Chance zu geben. Letztendlich entschied sich der Sohn gegen die Intubation und am nächsten Morgen war der Patient verstorben.

Neben den körperlichen Beschwerden, unter denen die Coronapatient:innen offensichtlich litten, wurde mir mit der Zeit immer mehr bewusst, welche psychischen Probleme die Infektion mit Covid-19 mit sich bringt. Man stelle sich vor seit 35 Tagen auf der Intensivstation zu liegen, vielleicht zwei Wochen davon intubiert und viele Tage noch so schwach zu sein, dass man sich nicht selbstständig bewegen kann. In dieser Zeit darf man eigentlich kaum Besuch empfangen und wenn, dann immer nur von einer Person, die meist nur an der Zimmertür stehen darf. Außerdem gibt es zum Beispiel keinen Fernseher und man kann nicht wirklich nach draußen schauen. Eigentlich liegt man also bis auf die paar Male am Tag, wo die Pflegekräfte oder Ärzt:innen ins Zimmer kommen, den ganzen Tag alleine im Bett und hört die Geräusche der medizinischen Geräte und das Ticken der Uhr. Und dann soll man versuchen stark zu bleiben und gegen die Infektion anzukämpfen. Eine Situation, die man wirklich niemandem wünscht.

Viele Pflegekräfte haben mir erzählt, dass die Arbeit mit den Covid-Patient:innen nach nun schon über einem Jahr sowohl physisch als auch psychisch sehr belastend ist. Vor allem, als kürzlich mehrere Pflegekräfte trotz Impfung selbst positiv getestet wurden (was sehr selten ist, aber trotzdem passieren kann) und auf einmal nur noch zwei examinierte Intensivfachpflegekräfte in einer Schicht arbeiten konnten.

Andererseits seien viele auch froh, dass sie die Möglichkeit gehabt haben, die ganze Zeit ihren Beruf weiter ausüben zu können und nicht in Kurzarbeit oder ins Homeoffice geschickt werden mussten, wie andere.

Ich möchte allen für die Tage auf der Intensivstation danken, an denen ich Höhen und Tiefen erleben durfte und an denen ich mich trotz stressiger Situationen immer gut aufgehoben und in den Arbeitsalltag integriert gefühlt habe.

Emma

Emma

Redakteurin