Thema, Wechselwirkungen Spezial

Die ganze Wahrheit über: Haarfärbung

22. Juni 2021
Sind Haarfärbemittel krebserregend? Und die „ohne Ammoniak“, sind die besser? Dürfen Schwangere sich die Haare färben? Antwort auf diese und weitere Fragen erhältst du hier. 
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von Valentina Corradini

In Zeiten des Lockdowns mussten immer mehr Frauen mit ihren Haaren alleine klarkommen. Während vorher die Verantwortung für den Erfolg und die Zuverlässigkeit der Haarfärbung den Friseur: innen überlassen war, stehen jetzt viele Damen zu Hause vor einer Flasche Haarfärbemittel und werden von den heimtückischsten Dilemmas auf die Probe gestellt. Darf ich einen helleren Farbton als meinen auswählen? Wie giftig ist eigentlich Ammoniak auf einer Skala von 100 bis 100 000? Werde ich am Ende der Färbung überhaupt noch Haare auf dem Kopf haben? Na ja, finden wir es heraus!

Zuerst wollen wir uns einen kurzen Einblick in den Wirkmechanismus dieser besonderen Kosmetika verschaffen. Für diejenigen von euch, die sich damit schon gut auskennen: hier geht es direkt zu den Risiken und brennenden Fragen 😉

 
Wirkungsmechanismus

Wenn man Haare unter dem Mikroskop betrachtet, sieht man sofort, dass sie von einem dichten Gitter aus Schuppen geschützt werden, die das Licht widerspiegeln und so auch für den Haarglanz verantwortlich sind: je fester verpackt, desto strahlender die Haare. Alkalische Substanzen lockern das Gitter auf, saure dagegen schließen es zu. Das ist der Grund dafür, dass Haarbalsam einen niedrigen pH hat, oder warum die sogenannte „Essigspülung“ für glänzende Haare sorgt. Merkt euch das gut, denn das ist das wichtigste Prinzip, das allen Haarfärbungen zugrunde liegt.

Unter der Schuppenschicht liegt der Haarstamm und noch tiefer das Mark, in das Keratinfasern und Melanin-Moleküle eingebettet sind, deren unterschiedlichen Varianten wir unsere Haarfarben zu verdanken haben.

Temporäre Haarfarbe

Der einfachste Weg, um unsere Haare zu verwandeln, besteht darin, sie von außen her zu färben. Hier kommen temporäre Haarfärbungen ins Spiel, die oft auch als „Wash out“ zu finden sind. Diese verwenden wir zum Beispiel zum Fasching oder wenn wir eine extravagante Haarfarbe ausprobieren wollen, ohne dass sie lange anhält. Diese Produkte lagern lediglich den Farbstoff auf der Außenflächen der Haare ab, indem sie eine schwache elektrostatische Bindung mit den Keratinfasern eingehen; derart schwach, dass sie sich durch einige Haarwäschen beseitigen lassen.

Permanente Haarfarbe

Langfristige Haarfarben machen etwa 80% des Marktes für Tinkturen aus und sorgen dafür, dass die Farbe nicht so leicht ausgewaschen wird. Das Geheimnis verbirgt sich in den zwei Fläschchen, die man in jeder Verpackung findet. Habt ihr euch jemals gefragt, warum es unbedingt zwei sind, und warum wir sie miteinander vermischen müssen? Wäre es nicht viel handlicher, eine einzige schon vermischte Flasche zu bekommen?

In der ersten Tube befinden sich alle Zutaten der Haarfärbung, unter anderem Ammoniak, Oxidationsbasen und Nuancieren, die zweite enthält nur eines: Wasserstoffperoxid (Eigentlich ist auch hier die Liste mit den Inhaltsstoffen ziemlich lang, aber außer Wasserstoffperoxid sind die anderen lediglich Zusatzstoffe, die dazu dienen, das Produkt zu bewahren, oder Emulgatoren, die ihm die richtige Konsistenz verleihen).

Nachdem wir die zwei Flüssigkeiten vermischt haben, entfaltet Ammoniak als erstes seine Wirkung: als alkalische Substanz löst es das Gitter aus Schuppen auf, das unsere Haare ummantelt und lässt die anderen Stoffe ins Innere eindringen. Jetzt kommt das Wasserstoffperoxid ins Spiel und koordiniert alle Reaktionen.

Zuerst zerstört es die Melaninmoleküle, sodass die Haare entfärbt werden. Dieser Schritt ist ausschlaggebend, nicht nur für die Einheitlichkeit der Färbung, sondern auch weil es ermöglicht, eine hellere Haartönung als die eigene zu erhalten.

Als nächstes oxidiert das Wasserstoffperoxid die Oxidationsbasen (am wichtigsten ist hier das Paraphenylendiamin), die sich in echte Pigmente verwandeln. Diese Reaktion erkennt man an dem Farbumschlag des Färbungsmittels, nachdem wir den Inhalt der beiden Flaschen miteinander vermischt haben, sprich nachdem wir die Oxidationsbasen in der ersten Tube in Kontakt mit Wasserstoffperoxid in der zweiten gebracht haben. Das Verhältnis zwischen Wasserstoffperoxid und Oxidationsbasen bestimmt die Sättigung der Farbtönung; jetzt fehlt nur noch der Farbton.

Darum kümmern sich die „Nuancierer“, die sich mit den aktivierten Farbstoffen verbinden und ein großes buntes Molekül bilden, so groß, dass es im Inneren des Haares zwischen den Keratinfasern stecken bleibt.

Das ist die geniale Idee hinter der Haarfärbung: kleine Moleküle zu verwenden, die sich im Inneren der Haare zu großen Verbindungen zusammenschließen, und somit in der Falle sitzen!

Im Anschluss das Balsam, das in der dritten Flasche aller Haarfärbungen enthalten ist: dank seinem sauren pH, schließt es die Haarschuppen zu, um sicher zu gehen, dass die Farbstoffe nicht entwischen; außerdem werden die Haare dadurch glänzend. Und hoffentlich habt ihr zu diesem Zeitpunkt die gewünschte Haarfarbe!

Semipermanente Haarfarbe

Diese Haarfärbung ist ein Mittelweg zwischen einer temporären und einer permanenten Haarfarbe. Hauptsächlich lagert sich der Farbstoff an der Außenfläche des Haars an, hat aber auch einen sauren pH, der einigen Molekülen ermöglicht, ins Innere einzudringen. Es ist auch weniger Wasserstoffperoxid enthalten, weshalb die Haare nicht entfärbt werden können und man keinen helleren Farbton als den eigenen erzielen kann. Außerdem ist die Menge an Ammoniak nicht ausreichend, um die Oxidationsbasen und die Nuancierer der permanenten Haarfärbung stabil miteinander zu verknüpfen und die Haarfarbe erweist sich eben als „weniger permanent“.

Risiken und Fragen

Ammoniak

Können wir auf Ammoniak verzichten?

Ammoniak ist für den Wirkmechanismus der permanenten und semipermanenten Haarfärbungen von ausschlaggebender Bedeutung: Es ist das Molekül, das den Farbstoffen ermöglicht, ins Innere des Haares einzudringen, um sich dort langfristig anzulagern. In manchen Produkten ist zwar kein Ammoniak enthalten, wohl aber Ersatzstoffe (normalerweise das Ethanolamin), die dieselben Eigenschaften wie Ammoniak haben, außer dass sie ein bisschen weniger stinken und so den Eindruck erwecken, weniger „toxisch“ zu sein. In der europäischen Verordnung 1223/ 2009 unterliegen aber beide -Ammoniak sowie Ethanolamin -strikten Verwendungseinschränkungen. Wenn man Vor- und Nachteile der beiden Moleküle abwägt, ist Ammoniak sogar empfehlenswerter als sein Ersatzstoff. Das Ethanolamin hat eine größere Wahrscheinlichkeit, allergische Reaktionen auszulösen, außerdem ist es weniger flüchtig, das heißt, wenn man sich die Haare nicht gründlich auswäscht, lagert es sich an die Haut an und es kommt leichter zu Irritationen. Vielleicht ist der Schriftzug „Ohne Ammoniak“, mit dem viele Produkte beworben werden, dann doch nicht so beruhigend.

Tattoos + Haarfärbung = Allergie

Farbstoffe, die in Haarfärbungen – sogar in den „natürlichen“ Pflanzenhaarfarben- enthalten sind, lösen häufig Allergien aus. Dieses Problem hat sich in den letzten Jahrzenten durch die Verbreitung der Tattoos verschärft, die dieselben Farbstoffe wie Haarfarben enthalten, allerdings in viel höheren Mengen. Auf den Etiketten von Haarfärbemitteln wird immer mit Aufrufzeichen vor Tattoos gewarnt, vor allem vor Henna Tattoos. Aber was hat Henna mit Haarfärbungen zu tun?

Der echte Schuldige ist nicht das Henna-Farbpigment, sondern vielmehr das Paraphenilendiamin, das unrechtmäßig zu Henna-Tattoos hinzugefügt wird, um den teuren Farbstoff zu verdünnen. Das Paraphenilendiamin ist so gesundheitsgefährdend, dass sein Einsatz nur in Haarfärbungen erlaubt wird, wobei es aber eine bestimmte Dosis (6%) nicht überschreiten darf. Haarfärbungen halten sich an den europäischen Einschränkungen, und auf der Verpackung wird dazu auch immer auf das etwaige Vorhandensein dieses Stoffes hingewiesen, um den/die Verbraucher/in darauf aufmerksam zu machen. Der Markt für Tattoos wird dahingegen meistens nicht so strikt kontrolliert, weshalb diese Vorschriften weiträumig umgegangen werden: es wird in Henna-Tattoos nicht nur heimlich Paraphenilendiamin hinzugefügt, sondern manchmal in solch riesigen Mengen, dass eine Sensibilisierung gegen den Stoff unvermeidbar ist. Bei einer Allergie verläuft der erste Kontakt mit dem Antigen – wie wir Mediziner: innen gut wissen- völlig symptomlos (es werden nur IgE gebildet) weshalb die Person nicht ahnen kann, dass sie bei der Tätowierung eine Allergie entwickelt hat. Diese macht sich nämlich erst beim zweiten Kontakt mit Phenilendiamin bemerkbar, wenn man sich zum Beispiel zwei Monate später die Haare färbt und rote Blasen auf dem ganzen Körper bekommt.

Deshalb ist es so wichtig, dass Menschen mit Tattoos auf Haarfärbungen verzichten, wenigstens auf permanente.

Dasselbe gilt auch für weitere Farbstoffe, nicht nur für das Paraphenilendiamin, ein Beispiel ist das neulich sehr umstrittene Resorcinol. Es gilt allgemein die Faustregel: Jeder Farbstoff darf innerhalb einer bestimmten Dosis verwendet werden, deren Überschreitung jedoch zu Allergien führt.

Erzeugen Haarfärbungen Krebs?

Diese Frage wird ein bisschen rücksichtlos von der Presse angefacht, die es gewohnt ist, die Welt in „es erzeugt Krebs“ und „es heilt Krebs“ zu unterteilen.

Die Wahrheit ist deutlich unschärfer und voller „es kommt darauf an“, die aber in den Schlagzeilen tatsächlich nicht so verlockend klingen.

Seit Jahrzenten hat man sich mit diesem brennenden Thema beschäftigt, das 60% der Bevölkerung betrifft, und viele Frauen ihr ganzes Leben lang begleitet. Die wichtigste bahnbrechende Studie über die Beziehung zwischen Haarfärbungen und Krebs geht in das Jahr 2001 zurück: untersucht wurde der Lebensstil von 1514 Menschen mit Harnblasentumor, der dann mit dem gesunder Menschen verglichen wurde. Am Ende hat sich herausgestellt, dass der Gebrauch von Haarfärbungen ein möglicher Risikofaktor für Krebs sein könnte. Diese Studie ist nicht für ihre Schlussfolgerungen wichtig, die größtenteils revidiert wurden, sondern weil es für Aufruhr sorgte und die Europäische Kommission dazu gebracht hat, die Situation ernst zu nehmen. Daraus ist eine sorgfältige Überprüfung aller Inhaltsstoffe der Haarfärbungen entstanden, die zur Erstellung von zwei Listen geführt hat, eine mit den erlaubten und die anderen mit den verbotenen Farbstoffen. Daraufhin wurden vom Haarfarbenmarkt viele Inhaltsstoffe genommen, die in den Haarfärbungen der Achtziger- und Neunziger-Jahren verwendet worden waren. Eines können wir also mit Sicherheit sagen: was das Krebsrisiko und die damit verbunden Studien angeht, waren Haarfärbungen im letzten Jahrhundert anders als heute.

Um uns eine Meinung über die heutigen Risiken zu bilden, können wir die Daten der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) berücksichtigen, die alle Studien über ein bestimmtes Thema abwägt und daraus Schlussfolgerungen zieht. Im Jahr 2010 wurde von der IARC den Haarfärbungen eine Monografie gewidmet, die zwischen einer gelegentlichen und einer beruflichen (Friseure) Verwendung der Haarfarben unterscheidet. Das Fazit ist ziemlich deutlich: Eine Haushaltanwendung von Haarfärbungen ist anscheinend nicht mit Krebs assoziiert, während für Profis, die ständig damit in Kontakt kommen diese Produkte ein Risikofaktor darstellen, vor allem für Tumore der Harnblase. Ausschlaggebend scheint also die Exposition zu sein, die im Falle gelegentlicher Haarfärbungen zu kurz ist, als dass sie Krebs verursachen könnte.

Schwangerschaft

Alle Produkte im Handel müssen ihre Sicherheit für Menschen beweisen, womit sowohl Erwachsene als auch Föten gemeint sind.

Wie sonst immer, gibt es aber auch in diesem Fall kein „Nullrisiko“.

Die europäischen Vorschriften sorgen nämlich für die Unbedenklichkeit der Inhaltsstoffe, Haarfärbungen sind jedoch sehr komplizierte Reaktionen, wobei auch Zwischenprodukte entstehen, für deren Sicherheit niemand garantieren kann.

Die wichtigsten Nebenstoffe wurden zwar überprüft, aber es gibt noch zahlreiche, die erst untersucht werden müssen, einige können sogar übersehen worden sein.

Einige Ärzt:innen raten Mütter davon ab, Haarfarben zu benutzen, um ihnen die Last der Entscheidung abzunehmen; andererseits hat das englische Gesundheitsministerium eine Liste mit Vorsichtsmaßnahmen erstellt, um sich auch während der Schwangerschaft weiterhin unbesorgt die Haare zu färben (u.a. Handschuhe tragen, Raum lüften, Haare reichlich auswaschen…)

Das Risiko teratogener Effekte ist also winzig, aber vorhanden. Die letzte Entscheidung liegt immer bei der Mutter, die Vor- und Nachteile abwägen muss, und letztendlich beschließt, ob dieses echt minimale Risiko die Sorgen gar nicht wert ist, oder ob sie lieber 100% sicher gehen und dafür auf einen Teil ihrer Schönheit verzichten will.

Valentina

Valentina

Redakteur:in