Freizeit, Buchrezension

„Selbst bestimmt sterben“ Ein Buch von Gian Domenico Borasio

11. April 2021
Selbstbestimmung, Autonomie und die Akzeptanz der persönlichen Einstellung zum Sterben und wie sich das individuelle Erleben des Sterbeprozesses gestaltet. Damit hat sich der Palliativmediziner Gian Domenico Borasio in seinem Buch “Selbst bestimmt sterben: Was es bedeutet. Was uns daran hindert. Wie wir es erreichen können. “ auf sehr lesenswerte Weise auseinandergesetzt.
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von Jana Clement

Anlässlich des Gesetzes über „die Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ und die deshalb neu aufgekommene Debatte in Deutschland über Sterbehilfe im Jahr 2015 schrieb der Palliativmediziner Gian Domenico Borasio sein zweites Buch über das Sterben.

Selbstbestimmung, Autonomie und die Akzeptanz unserer eigenen Meinung. Das alles sind Dinge, die wir wahren und erleben möchten bis wir von dieser Erde scheiden. Im Sterbeprozess bedeutet das, dass Entscheidungen unter anderem darüber zu treffen sind, welche medizinischen Hilfsmittel zum Erhalt des Lebens eingesetzt werden sollen, wer im Notfall medizinische Entscheidungen für einen übernimmt und auch ab welchem Zeitpunkt das Leben möglicherweise unter Zuhilfenahme einer außenstehenden Person beendet werden soll.

Beim Sterben helfen. Genau diese Handlung ist Mittelpunkt des ersten Kapitels, denn die Selbstbestimmung am Lebensende umfasst mehrere Aspekte. Dazu zählen neben der Bestimmung des gewünschten Sterbeortes auch die freie Entscheidung, ob und auf welche Weise fremde Hilfe in Anspruch genommen wird, um das eigene Leben zu beenden. Die Beantwortung dieser zentralen Fragen gewinnt vor allem an Bedeutung beim Vorliegen schwerer progredienter Erkrankungen, die möglicherweise zum Tode führen. Der Autor legt auf sehr verständliche Weise dar, welche Arten der Sterbehilfe geleistet werden können und wie diese rechtlich geregelt sind. Dazu wird die Leserschaft über die Bedeutungen von passiver, aktiver oder indirekter Sterbehilfe aufgeklärt. Denn gerade diese führen immer wieder zu großer Verwirrung bei der Diskussion, inwieweit es erlaubt sein solle, mit fremder Hilfe aus dem Leben zu scheiden. Um Licht ins Dunkel zu bringen, plädiert der Palliativmediziner außerdem für die Änderung genau dieser Begriffe, um die Situationen „unmissverständlich, nüchtern und ohne emotionale Konnotationen“ (vgl. S76) zu beschreiben.

Borasio regt an: Warum nennt man das Kind nicht beim Namen? „Aktive Sterbehilfe“ ist die „Tötung auf Verlangen“, „passive Sterbehilfe“ bezeichnet das „Nicht-Einleiten oder Nicht-Fortführen lebenserhaltender Maßnahmen (Zulassen des Sterbens)“ und die „indirekte Sterbehilfe“ meint die „Leidenslinderung bei Gefahr der Lebensverkürzung“.

So wie die Angehörigen sind natürlich auch die behandelnden Ärzt:innen direkt von der Entscheidung der Patient:innen, eine Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen, betroffen. Borasio erläutert die Pflichten der Mediziner:innen in diesen besonderen Situationen und wie diese möglichst patientenorientiert erfüllt werden können.

Und nun zur Selbstbestimmung. Im zweiten Kapitel geht Borasio auf die Frage ein, was es für einen Menschen überhaupt bedeutet, am Ende des Lebens selbstbestimmt sterben zu dürfen. Dabei schildert er, dass das Sterben nicht einen einzigen Zeitpunkt beschreibt, sondern eine Phase, die sich über Tage bis Wochen oder gar Monate hinziehen kann. In dieser Zeit gilt es vor allem, die psychosozialen und kulturellen Hintergründe eines Menschen kennen und verstehen zu lernen. Denn die Vorstellungen und Wünsche, die das Sterben betreffen, sind so individuell und vielseitig wie die Persönlichkeit jedes einzelnen Menschen.

Gekonnt nimmt der Schriftsteller die Leser:innen auf eine Reise durch das Wirrwarr der Begrifflichkeiten und seine eigenen Gedankengänge über die komplexe und vielschichtige Thematik der Sterbehilfe mit. Er nutzt dazu nicht nur eine einfache und verständliche Schreibweise, sondern zieht auch reale Beispiele heran, die die Bedeutung der Sterbehilfe und seine eigene Meinung dazu veranschaulichen.

Das Buch ist inhaltlich mit Sicherheit kein einfaches Buch, das sich wie ein Roman über die erste große Liebe herunterlesen lässt. Die Beschäftigung mit dem Sterben ist naturgemäß eher „schwere Kost“. Allerdings lohnt es sich besonders durch die klare und verständliche Schreibweise des Autors, sich diesem Buch und seiner Thematik in Ruhe und mit Bedacht zu widmen. Das Buch fordert zum Mitdenken und zur Auseinandersetzung mit der eigenen Vorstellung eines selbstbestimmten Sterbens auf.

„Selbst bestimmt sterben: Was es bedeutet. Was uns daran hindert. Wie wir es erreichen können“ ist ein Werk von Gian Domenico Borasio und erschien 2016 im deutschen Taschenbuchverlag.

Jana

Jana

Redakteurin