Vom Schmerzmedikament zum Rauschgift – Tramadol
Tramadol – ein Medikament, das hier bei uns in Europa medizinischen Gebrauch in der Therapie mittelstarker bis starker Schmerzen findet. Doch in anderen Regionen dieser Welt wie zum Beispiel im Westen Afrikas, spielt Tramadol für die Menschen eine ganz andere Rolle. Tramadol ist für sie Überlebenshilfe – es wird nicht wie bei uns verbunden mit Krankheit oder Leiden, sondern es steht für Stärke und Zukunftssicherheit. Doch was steckt wirklich hinter den maßgeblich positiven Eigenschaften, von denen die Menschen dort schwärmen? Und was bewegt sie dazu, ein so starkes Medikament zu konsumieren, obgleich sie gar nicht krank sind?
Diese Menschen leiden. Zwar nicht an körperlichen Schmerzen direkt, aber an Müdigkeit, Überanstrengung, Hilflosigkeit. Stell dir vor, du arbeitest jeden Tag 12 Stunden, sieben Tage die Woche und kannst nicht einmal am Abend eine Pause zu Hause einlegen und in Ruhe zu Bett gehen. Denn das Problem ist, du arbeitest zwar hart, aber dein Geld reicht dennoch nicht für ein Dach über dem Kopf. So geht es zum Beispiel vielen Motortaxifahrern im Togo. Den ganzen Tag fahren sie Leute durch den dichten Verkehr von A nach B und danach leben sie auf der Straße. Das Motorrad ist ihr zu Hause – ihr Bett, ihr Essensplatz, ihr Rückzugsort, ihr Ein und Alles. Diese Umstände sind so belastend, dass viele nicht mehr wissen, wie lange sie so noch durchhalten werden. Doch dann finden sie auf einmal Hoffnung – in einem Medikament, das auf dem Schwarzmarkt in Afrika leicht zu beschaffen ist – Tramadol. Bekannte erzählen davon und wie es ihnen hilft, den Alltag besser zu meistern. Sie seien wacher, fröhlicher und die anstrengende Arbeit würde ihnen viel weniger ausmachen.
Also muss Tramadol wohl neben der Linderung von Schmerzen auch noch andere Wirkungen haben. Welche sind das? Und welche Nebenwirkungen gehen möglicherweise mit diesen einher?
Tramadol ist ein Opioidrezeptoragonist und wirkt somit analgetisch, hat jedoch im Gegensatz zu beispielsweise Morphin eine viel geringere Affinität zu den Opioidrezeptoren und wirkt deshalb schwächer. Darüber hinaus hemmt Tramadol die Wiederaufnahme von Serotonin und Noradrenalin im synaptischen Spalt. Serotonin bzw. 5-Hydroxytryptamin (5-HT) findet Wirkung in vielen Bereichen des menschlichen Körpers, ganz besonders im Gastrointestinaltrakt und im zentralen Nervensystem. Dort beeinflusst es über 5-HT-rezeptorvermittelte Prozesse unter anderem wichtige emotionale Abläufe, die zum Beispiel wesentlich zur Steuerung von Angst und Aggression beitragen. Diese Abläufe basieren auf der Wirkungsweise von chemischen Synapsen im zentralen Nervensystem. Serotonin wird an der Präsynapse in den synaptischen Spalt ausgeschüttet und bindet von dort an die HT-Rezeptoren der Postsynapse. Normalerweise werden nach einer gewissen Zeit die Serotoninmoleküle wieder in die Präsynapse zurückaufgenommen. Wird nun jedoch ein Serotoninwiederaufnahmehemmer eingesetzt, bleiben die Serotoninmoleküle über einen längeren Zeitraum im synaptischen Spalt, sodass die Serotoninwirkung insgesamt verstärkt wird. Dieser Mechanismus hebt folglich die Stimmung und den psychischen Allgemeinzustand.
Auch Noradrenalin ist ein wichtiger Neurotransmitter des menschlichen Organismus, insbesondere im sympathischen Nervensystem. Es wirkt leistungssteigernd, indem es beispielsweise den Blutdruck erhöht und die Blutversorgung des Herzens verbessert. Die Noradrenalinwiederaufnahmehemmer verstärken nach demselben schon vorherig erklärten synaptischen Prinzip die Wirkung dieses Transmitters. Die leistungssteigernde Wirkung scheint erst einmal positiv, doch diesen positiven Wirkungsweisen stehen teilweise starke Nebenwirkungen gegenüber. Denn eine zu hohe Dosis und insbesondere dessen Konsum über einen zu langen Zeitraum, kann dramatische Folgen haben. Kurzfristig kann es zu Hypertonie, Schweißausbrüchen, Kopfschmerzen und Tachykardie kommen. Langfristig können die Folgen noch dramatischer sein – Krampfanfälle, Halluzinationen, Herzinfarkte und im schlimmsten Fall der damit einhergehende Tod. Es ist erschreckend, dass auch Schüler:innen und Studierende Tramadol konsumieren und nur sehr schwer wieder davon loskommen. Der Körper gewöhnt sich bei Einnahme solcher in den homöostatischen Kreislauf eingreifenden Medikamente schnell an die durch diese induzierten neuen Gegebenheiten. Die regelmäßige Einnahme von Tramadol führt also schnell zu einer physischen Abhängigkeit. Und das ist genau das, was dieses Medikament so gefährlich macht, wenn es nicht in einer medizinischen Einrichtung verschrieben und dessen Einnahme ärztlich überwacht wird. Normalerweise sollten Patient:innen über die Nebenwirkungen solcher Medikamente umfangreich aufgeklärt werden. Teilweise wird dies auch in einigen Schulen Afrikas versucht, doch meist ist es dann schon zu spät. Außerdem gibt es viel zu wenig Suchtkliniken, die diese jungen Menschen auffangen könnten. Im Togo gibt es einen Verband, der sich „Blaues Kreuz“ nennt und versucht gegen den Missbrauch psychischer Substanzen vorzugehen, doch die Anzahl der hilfsbedürftigen Menschen ist leider viel zu groß.
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Ursprünglich entwickelte die deutsche Grünenthal GmbH das Medikament und brachte es 1977 unter dem Namen Tramal auf den Markt. Die normale Dosis pro Tablette beträgt je nach Schmerzstärke zwischen 50 und 100mg. Die empfohlene Tageshöchstdosis liegt bei circa 400mg. Auf dem Schwarzmarkt in Afrika kann man Tabletten mit Dosierungen von 400mg bis über 600mg erhalten – und dies auch noch extrem billig. Hergestellt werden sie meist als Generika in Billigproduktionsstätten in Indien, China oder Indonesien. Pro Tablette bezahlen die Menschen circa 40 bis 80 Cent – eine verhängnisvolle Verlockung, sich schnell den Alltag zu erleichtern, Ängste und Sorgen auszublenden. Die Menschen konsumieren am Tag teilweise bis zu über 2000mg Tramadol – die fünffache Menge der empfohlenen Tageshöchstdosis.
Es ist erschreckend, wie viele Menschen, vor allem wie viele junge Menschen dieses Medikament als Droge missbrauchen und wie einfach es zu beschaffen ist. Die Abhängigkeit lässt sich weder leicht noch ohne professionelle Unterstützung behandeln, zu der die meisten dieser Menschen keinen Zugang haben. Viele sagen, sie müssen Tramadol nehmen, um die Anstrengungen der Arbeit überhaupt bewältigen und die Lebensbedingungen in ihrer Heimat ertragen zu können. Worin können diese Menschen noch Hoffnung schöpfen und was wären die Alternativen, um besser auf die Betroffenen einzugehen?
Quellen:
Deutschlandfunk (zuletzt aufgerufen am 28.02.21)
Arte.tv (zuletzt aufgerufen am 28.02.21)
Deutschewelle.com (zuletzt aufgerufen am 28.02.21)
Emma
Redakteurin