Testosteron – Das Maß aller Dinge?
Die Leichtathletin Caster Semenya, die Fußballspielerin Barbra Banda und viele andere Sportlerinnen wurden aufgrund zu hoher Testosteronwerte von internationalen Wettkämpfen ausgeschlossen. Sportverbände wie der Leichtathletik-Weltverband IAAF (International Association of Athletics Federations) oder der afrikanische Fußballverband CAF (Confédération Africaine de Football) definierten für Athletinnen eine Obergrenze der Testosteronkonzentration im Blut.
Die Idee dahinter: Ein Grenzwert des leistungssteigernden Hormons soll die Chancengleichheit unter den Teilnehmerinnen sichern.
Semenya überschritt den Grenzwert, den die IAAF auf fünf Nanomol pro Liter festlegte, und wurde von Wettkämpfen in der Frauenkategorie ausgeschlossen.
Die Leichtathletin klagte gegen die Einführung der Testosteronobergrenze und zog bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Im Juli 2023 wurde ihr für ihre Klage gegen den Ausschluss von Sportlerinnen mit natürlich hohen Testosteronwerten Recht gegeben.
Aber was steckt hinter den erhöhten Testosteronwerten der Sportlerinnen?
Zunächst ist Testosteron, durch die biochemische Brille betrachtet, ein Steroidhormon, das bei allen Geschlechtern gebildet wird und seine Wirkung konzentrationsabhängig entfaltet. Die Synthese findet hauptsächlich in den Hoden und Ovarien statt. Daneben werden Vorstufen des Hormons in der Nebennierenrinde produziert. Testosteron diffundiert durch die Zellmembran seiner Zielzellen und wird im Zytosol enzymatisch zu Dihydrotestosteron (DHT) umgewandelt.
DHT hat im Vergleich zu Testosteron eine sehr viel stärkere Affinität zu den intrazellulären Androgenrezeptoren, die als ligandenaktivierte Transkriptionsfaktoren verschiedene Gene der Sexualentwicklung und -funktion beeinflussen.
In der Embryonalzeit sind Testosteron und seine Derivate ausschlaggebend für die Entwicklung des Fötus zum männlichen Phänotyp. Es beeinflusst in der Pubertät die Ausbildung sekundärer Geschlechtsmerkmale und steuert die Spermatogenese. Darüber hinaus wirkt das Hormon auf die Erythropoese und anabole Stoffwechselprozesse, die für den Aufbau von Muskelmasse verantwortlich sind.
Der hohe Testosteronspiegel bei Caster Semenya und Barbra Banda ist nicht durch die Einnahme von Anabolika zu erklären. Bei beiden Frauen liegen von der Norm abweichende Geschlechtsentwicklungen vor, die für natürlich hohe Testosteronkonzentrationen im Blut verantwortlich sind. Sie werden in der Literatur und von Betroffenen als „Intersexualität“ oder „Differences of Sex Development“ (DSD) bezeichnet.
DSDs sind eine heterogene Gruppe von untypischen Entwicklungen des chromosomalen, gonadalen oder anatomischen Geschlechts. Sie werden grob in die folgenden Gruppen unterteilt:
- Geschlechtschromosomen-DSDs (zum Beispiel Turner-Syndrom (45, X) oder Klinefelter-Syndrom (45, XXY))
- 46, XY-DSDs
- 46, XX-DSDs
Im Falle der Leichtathletin Caster Semenya wurde ein Mangel des Enzyms 5α-Reduktase festgestellt. Das Enzym wandelt Testosteron in seine biologisch potenteste Form Dihydrotestosteron (DHT) um. Feten mit einem männlichen Genotyp (XY) entwickeln durch den Enzymmangel und das fehlende DHT meist ein weiblich erscheinendes äußeres Genital. Das innere Genital dagegen ist männlich. Neugeborenen wird daher meist das weibliche Geschlecht zugeordnet. In der Pubertät kommt es bei Betroffenen durch die steigende Testosteronproduktion zur Virilisierung in unterschiedlich starker Ausprägung.
Caster Semenya, Paris 2018
© Yann Caradec from Paris, France, CC BY-SA 2.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0>, via Wikimedia Commons
Welche Überlegungen stehen nun im Raum, das Dilemma zwischen Chancengleichheit und Teilhabe der Sportler:innen mit natürlich erhöhten Testosteronwerten zu lösen?
1. Testosteronobergrenze
Während der Leichtathletik-Weltverband IAAF durch die Einführung der Testosteronobergrenze eine Chancengleichheit unter den Sportler:innen wahren möchte, fühlen sich betroffene, meist intersexuelle Athlet:innen diskriminiert. Zu Recht argumentieren sie, dass herausragende Leistungen im Sport multifaktoriell bedingt sind. Neben Fleiß, Tagesform und einer sportlichen Begabung begünstigt die körperliche Konstitution von jeher den Erfolg von Sportler:innen. Es ist kein Zufall, dass Turner:innen oft klein und kräftig sind, während Basketballer:innen häufig durch ihre Größe auffallen. Mit der eingeführten Testosterongrenze wird besonders eine Gruppe von Athlet:innen, meist intersexuelle, herausgestellt, die genauso wenig Einfluss auf ihre erhöhten Androgenwerte haben wie Sprinter Usain Bolt auf seine langen Beine.
2. Medizinischer Eingriff
Die Gabe von testosteronsenkenden Medikamenten, wie progesteronhaltigen Kontrazeptiva, wäre eine Möglichkeit für ausgeschlossene Sportler:innen wieder an Wettbewerben teilnehmen zu können. Allerdings wäre das ethisch kaum vertretbar. Allein die allgemein bekannten Nebenwirkungen wie Schwindel, Kopfschmerzen und Übelkeit, die sich letztendlich auch negativ auf die sportliche Leistung auswirken könnten, schließen diese Option aus. Daneben kann ein plötzlicher Leistungsknick bei Sportler:innen auch mit einer immensen psychischen Belastung einhergehen. Zusätzlich sollte in Frage gestellt werden, ob Blutwerte künstlich nach unten korrigiert werden sollten, damit Sportler:innen an Wettkämpfen teilnehmen können.
Testosteron – Strukturformel
© Wikimedia Commons
3. Gliederung nach Testosteronwerten
In Anlehnung an den Boxsport mit seiner Einteilung nach Gewichtsklassen, könnte man überlegen, Sportler:innen nach ihren Testosteronwerten zu gruppieren.
Das Problem dabei: Die Höhe des Testosteronwertes sagt nichts über seine biologische Wirksamkeit aus.
So liegt im Falle einer Androgenresistenz ein Defekt in den Androgenrezeptoren oder eine postrezeptorische Störung vor. Das synthetisierte Testosteron wird nur wenig bis gar nicht verwertet. Neben der Testosteronkonzentration im Blut, müsste demnach auch die Rezeptorausstattung untersucht werden.
4. Kategorie der intersexuellen Menschen
Im Sport werden Sportler:innen immer noch nach einem binären System eingeteilt. Auf biologischer und sozialer Ebene gibt es jedoch mehr als nur „männlich“ und „weiblich“.
Wie wäre es, wenn neben der üblichen „Frauenkategorie“ und „Männerkategorie“ auch eine „Kategorie der Intersexuellen“ etabliert werden würde?
Eine dritte Geschlechtskategorie für Menschen mit DSDs würde für Inklusion und Akzeptanz statt Exklusion und Diskriminierung sorgen.
Abschließend ist sicherlich festzuhalten, dass Intersexuelle sowie Trans*Athlet:innen im Leistungssport keine Seltenheit sind und davon auszugehen ist, dass die Sportwelt auch in Zukunft mit vergleichbaren Fällen konfrontiert werden wird. Die Dringlichkeit weiterhin wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zu gewinnen, um die Debatte über den Umgang mit intergeschlechtlichen Sportler:innen aus ethischer, menschenrechtlicher und sportlicher Sicht zu führen, nimmt also zu.
Quellen:
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Jana
Redakteurin