Thema, Essen, Wissenschaft

Hungern für das Gehirn?

11. April 2021
Freiwillige Essensabstinenz und Kalorienrestriktion über einen begrenzten Zeitraum (Großmutter würde sagen „verhungern“) begleitet die Menschheit seit langem, insbesondere in religiösen Praktiken. Basiert dieser neu auflebende Trend auf esoterischem Aberglauben oder bietet er ganz realen Nutzen auch in der Bekämpfung neurologischer Erkrankungen?
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von Luc Adrian Beutin

Dass Fasten und insbesondere Intervallfasten (IF) längst im Mainstream angekommen sind, dürfte den meisten anhand unzähliger propagierender Videos und Artikel im Netz durch gesundheits- und trendbewusste Menschen des öffentlichen Lebens aufgefallen sein. Nicht nur schnelles Abnehmen, Langlebigkeit und erhöhtes Wohlbefinden, sondern auch Steigerung der geistigen Fähigkeiten und Prävention neurodegenerativer Krankheiten werden angepriesen und versprochen. Mit meinem Fokus auf letzterem angeblichen Nutzen – zur Vermeidung ausschweifender Themenüberlagerung – und somit eingrenzenderer Befassung mit den Behauptungen, nach denen erhebliche psychische Verbesserungen durch Intervallfasten erzielt werden können, möchte ich der Legitimität dieser Versprechungen nachgehen. Dabei versuche ich zu ergründen, ob die auf den ersten Blick malnutritiv anmutende Selbstfolterung und bösartig grummelnde Mägen wirksame Antidote zu neurodegenerativen Prozessen darstellen können oder ob der Trend mehr Placebo-Funktion erfüllt, als dass er reale Wirksamkeit mit sich bringt.

Mit abnehmender Zeitspanne zur KMP und positiv korrelierendem psychischen Druck steigt wohl – außer bei den Stressresistentesten unseres Studiengangs – der Wunsch nach einem sich alles einprägenden, weniger vergesslichen Gehirn massiv an. Dass die Fähigkeit zu lernen und Informationsabspeicherung durch Fasten gesteigert werden kann, lässt sich bei unseren Lieblingsversuchsobjekten der Medizin – Mäusen – wohl deutlich nachweisen. So untersuchte ein Forschungsteam aus Singapur, wie sich Intervallfasten über eine Zeitspanne von drei Monaten auf die kognitiven Leistungen der Nagetiere auswirken würde und machte folgende Entdeckungen bezüglich der Gruppe, welche ein Essensregiment von 16:8 (16-stündige Nahrungskarenz pro Tag) praktizierte: Nicht nur hippocampale Neurogenese, sondern auch eine Steigerung der BDNF-Konzentration konnten festgestellt und belegt werden. Zur kurzen Erklärung: BDNF (brain derived neurotrophic factor) gilt als eines der wichtigsten biologisch aktiven neurotrophischen Wachstumsfaktoren, welches bei erhöhtem Vorkommen Neurone nicht nur stressresistenter macht, sondern auch mit einem verbesserten Lernvermögen, Gedächtnis und der Formation neuer Nervenzellen im Hippocampus assoziiert wird.

© Foto auf unsplash.com, lizenzfrei

Diese positiven Resultate lassen sich durch die Ergebnisse eines iranischen Forschungsteams ergänzen, welches ebenfalls der Frage nachging, wie sich kognitive Funktionen von intervallfastenden Mäusen, die starkem Disstress (negativ belastender Stress) ausgesetzt wurden, von der sich regulär ernährenden Kontrollgruppe unterscheiden würden. Dabei wurde der Fokus jedoch nicht auf neurotrophische Faktoren wie BDNF sondern auf Entzündungsmarker gelegt und Folgendes durch Gabe von Elektroschocks beobachtet: Diejenigen Nager, welche sich an ein fastendes Essensschema hielten, zeigten signifikante Verringerungen proinflammatorischer Zytokine – darunter TNF-α und Interleukin-6 – sowie des stressassoziierten Glucocorticoids Corticosteron.
Dass Studierende andersartigen Stressformen ausgesetzt sind und nicht tagtäglich fürchten müssen, elektrisch gegrillt zu werden, ist selbsterklärend, dennoch bieten derartige Studien die theoretische Grundlage und interessante Anhaltspunkte, um den Zusammenhang zwischen Eustress („gutartiger“ Beanspruchung wie Fasten) und Disstress weiter zu erforschen. Dies ist umso relevanter, da man bislang davon ausgeht, dass Stressexposition einen erheblichen Einfluss auf unsere Lernfähigkeit hat. Dabei ist jedoch eine explizit differenzierte Auseinandersetzung mit der Thematik vonnöten. Die Literatur deutet nämlich daraufhin, dass je nach Distressdauer, -intensität und -art sowohl positive als auch negative Lerneffekte erzielbar sind. Gemeinsam ist den tierischen wie menschlichen biochemischen Antworten darauf jedoch unterschiedlichste Modulation der Glucocorticoidreaktionen und Konzentrationsanpassung derselben, auf welche – wie oben angesprochen – Einfluss durch Fasten genommen werden könnte.

Wenn nun einige Indizien daraufhin deuten, dass Stressabwehr, verbessertes neuronales Wachstum und gesteigerte Gedächtnisleistung durch spezielle Varietäten und Formen des Fastens möglich sein können, wie sieht dann die Datenlage bezüglich Erkrankungen aus, die typischerweise ebenjene geistigen Fähigkeiten einschränken und beeinträchtigen, wie z.B. bei der Demenz-Krankheit Morbus Alzheimer, welche im frühen Entwicklungsstadium zuerst vor allem den Hippocampus zu befallen scheint?

Gehirnmodell Fastentext

© Foto auf unsplash.com, lizenzfrei

Als eine in Österreich rund 80.000 Menschen betreffende Krankheit, gilt die Alzheimer-Krankheit als ein schwer zu behandelndes, aufgrund seiner tückisch unvorhersehbaren und unaufhaltsam degenerativen Natur kaum zu kurierendes Übel, dessen medikamentöse Behandlung noch in den Kinderschuhen zu stecken scheint. Nach aktuellem Kenntnisstand könnte nicht nur der altersbedingte Untergang von Neuronen, sondern auch Eiweißablagerungen (insbesondere β-Amyloid-Plaques) im Gehirn verantwortlich für diesen Prozess sein.

Zum besseren Verständnis des Zusammenhangs zwischen ebendieser Krankheit und Kalorienrestriktion/IF erschien eine im Journal Neurobiology of Disease veröffentlichte Studie mit 3xTg-AD-transgenen Mäusen, deren Genmaterial also mit exogener fremder DNA angereichert wurde, welche drei typischerweise mit Morbus Alzheimer assoziierte Mutationen enthält: Nach 17 Monaten zeigten die intervallfastenden Nagetiere gegenüber der Kontrollgruppe in Versuchen im sogenannten Morris-Wasserlabyrinth, einer Versuchsapparatur zur Testung der räumlichen und mnemonischen Fähigkeiten, sowohl bessere explorative Fähigkeiten als auch überzeugendere Ergebnisse in den durchgeführten Gedächtnistests.

Beim Durchforsten der aktuellen Studienlage fällt also auf, dass ein durchwegs positives Bild gezeichnet wird – nicht nur im Bereich des Lernens, Informationserwerbs und der Neuroplastizität, sondern auch bei neurodegenerativen Erkrankungen und sogar bei der Erholung nach fokal ischämischen Schlaganfällen oder MCAO (middle cerebral artery occlusion = temporäre Einschränkung des Blutflusses in der arteria cerebri media) – doch der Knackpunkt ist leider, dass all die erwähnten Versuche bisher fast ausschließlich an Mäusen getestet wurden. Die wenigen Studien, die an Menschen durchgeführt wurden, zielten bisher eher hauptsächlich auf metabolische Marker wie Gewichtsverlust oder veränderte Fett- und Muskelkompositionen ab als auf Auswirkungen auf Kognition und Psyche. Wer nach aussagekräftigen Erkenntnissen über durch Fasten veränderte neurologische Vorgänge sucht, wird kaum fündig. Somit müssen wir uns vorerst mit zuversichtlich stimmenden Tierversuchen zufriedengeben und auf baldige erkenntnisreichere Funde beim Menschen hoffen.

Quellen:  

Luc Adrian

Luc Adrian

Redakteur