Thema

Die vergessenen Patient:innen – Transmenschen im Gesundheitswesen

18. November 2024
Was macht man als Medizinstudent:in, wenn man etwas über ein Krankheitsbild erfahren will Genau, man geht brav in die Vorlesung……. Okay, sind wir mal ehrlich: Man schaut auf Amboss, einer scheinbar unendlichen Quelle medizinischen Wissens. Aber was, wenn ein Thema noch so unscheinbar und wenig repräsentiert ist in der Medizin und im Studium, dass es keine eigene Vorlesung dafür gibt, obwohl es ca. 3/100 Patient:innen betrifft? Was, wenn man auf Amboss nachschauen möchte und nur einen knappen Artikel findet, der ohne Vorwissen und vor allem ohne Aktivierung des Arztwissens kaum genug Hintergrundinfos enthält, um sich wirklich zu informieren? Dann ist man beim Thema Transgeschlechtlichkeit bzw. Geschlechtsinkongruenz angelangt. Wie geht es der Gruppe von Patient:innen in einem Gesundheitssystem, in dem die meisten ihrer behandelnden Ärzt:innen den Unterschied zwischen Cis und Trans nicht kennen? Und was könnt ihr persönlich dafür tun, um die zukünftige Behandlung zu verbessern?
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von Nora Nicolussi Moz und Nahuel Vivas

Die Definition der Diagnose von Trans Personen nach englischem ICD-11 auf deutsch übersetzt (Achtung, Erneuerung und Änderungen von ICD-10 aus) lautet:

Geschlechtsinkongruenz im Jugend- und Erwachsenenalter ist durch eine ausgeprägte und anhaltende Inkongruenz zwischen dem empfundenen Geschlecht und dem zugewiesenen Geschlecht gekennzeichnet, die oft zu dem Wunsch führt, sich durch Hormonbehandlung, chirurgische Eingriffe oder andere Gesundheitsleistungen „umzuwandeln“ (oder auf gut englisch: transitioning), um als Person des empfundenen Geschlechts zu leben und akzeptiert zu werden, damit sich der Körper der Person so weit wie möglich und gewünscht dem empfundenen Geschlecht anpasst.

Eine Person mit dieser Diagnose würden wir dann im allgemeinen Sprachgebrauch als Trans bezeichnen, während eine Person, deren zugewiesenes Geschlecht zu dem Empfundenen passt, als Cis klassifiziert wird (da klingeln die Chemie Vokabular Glocken, nicht wahr?). Dabei gibt es so viele verschiedene Arten, Trans zu sein, wie es Menschen gibt. Wenn wir es aber kurz und knackig halten wollen, vereinfachen wir das ganze doch mal in 3 Kategorien:

FTM = Female to Male = Transmann = eine Person, der bei der Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen wurde, die sich aber als männlich identifiziert.

MTF = Male to Female = Transfrau = eine Person, der bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen wurde, die sich aber als weiblich identifiziert.

Nonbinary/Nicht-binär = eine Person – egal welchen zugewiesenen Geschlechts – welche sich weder als weiblich noch als männlich identifiziert, wobei eine präferierte “Richtung” existieren kann.

Egal welches Geschlecht eine Trans Person hat, können die präferierten Pronomen variieren. Vor allem bei nicht binären Personen ist es deshalb wichtig, einfach nachzufragen, welche Pronomen sie im Deutschen oder auch im Englischen bevorzugen.

Wenn die Diagnose “Trans”, zusammen mit den Patient:innen, gestellt wurde, beginnt die sogenannte Transition. Dabei kann eine Transition ganz unterschiedlich aussehen. Manche Trans*Personen streben eine Namensänderung an, andere beginnen eine Hormontherapie und wieder andere gehen den Schritt zur geschlechtsangleichenden OP.

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Wieso dieses Grundwissen um ein korrektes Verhalten gegenüber Trans Patient:innen wichtig ist, kann aus den Vorlesungsfolien zum Thema LGBTQ von Prof. Priv.-Doz. Dr. med. Dr. scient. med. Grabovac aus dem 7. Semester entnommen werden. Aus diesen folgen nun die wichtigsten Fakten:

  • Gute Kommunikation und Beziehung führen zu besseren Gesundheitsoutcomes bzw. erlauben shared decision making und evidence-based medicine.
  • Um diese Kommunikation bei LGBTIQ+ Patient
    zu gewährleisten, braucht es Grundkenntnisse über Begriffe und Bedürfnisse dieser Bevölkerungsgruppe.

Die folgenden Zahlen zeigen, wie viele Patienten bestimmter Gruppen von Diskriminierungserfahrungen während der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen in den letzten 12 Monaten berichten (Tendenz steigend seit FRA I im Jahr 2012).

Europäische Union (Schnitt) vs. Österreich:

  • 16% vs. 16% insgesamt
  • 10% vs. 14% bisexuelle Männer*
  • 11% vs. 12% gay Männer
  • 14% vs. 12% bisexuelle Frauen
  • 16% vs. 11% lesbische Frauen
  • 34% vs. 37% trans* Personen
  • 35% vs. 47% inter* Personen.

Trans und nicht-binäre Patient
in Österreich:

  • 60,5% wurden nie oder selten ernst genommen
  • 21,1% wurden sehr oft misgendered vom Gesundheitspersonal
  • 7,7% hatten Gewalterfahrungen
  • 13,2% wurde die medizinische Versorgung verweigert
  • 58% sehen Ärzt
    als “problematischste” Gruppe des Gesundheitspersonals
  • Nur 5% haben die Diskriminierungserfahrung gemeldet.

Take-home messages:

  • Eigene Biases der Cis- und Heteronormativität kontrollieren
  • Sich mit Konzepten und Begriffen sowie Guidelines bekannt machen
  • Safe Spaces schaffen für bessere Outcomes bei LGBTIQ+ Patient:innen
  • Spezifische Bedürfnisse beachten und diese thematisieren (kulturell, somatisch und psychosozial)
  • Auf Gatekeeping und (bürokratische) Hürden achten
  • Menschenrechtliche und menschliche Perspektive trotz medizinischem Setting beachten (Consent, Indikation, EBM, shared decision-making, patient
    Medizin, Beziehungsaufbau).

Kurz und knackig – die folgenden Dinge solltet ihr vermeiden:

  • Deadnaming = den Namen benutzen, den die Person bei der Geburt erhalten hat
  • Misgendering = die falschen Pronomen nutzen
  • Den Ursprung eines unabhängigen medizinischen Problems im Trans-sein suchen
  • Transsein als psychiatrische Erkrankung klassifizieren bzw. bezeichnen
  • Das Wort transsexuell benutzen (transgender dafür schon!)
  • Davon ausgehen, dass man die Sexualität von Trans Personen automatisch weiß. Diese variiert wie bei Cis Personen.
  • Fragen stellen, ohne zu erklären, warum man diese stellt, z.B. welche Geschlechtspartner
    der/die Patient:in
    in den letzten Monaten hatte. Aus Sicht des/der Patient:in ist das manchmal schwierig nachzuvollziehen und wirkt dann übergriffig.
  • Z.B. davon ausgehen, dass, wenn ein:e Patient:in FTM ist, diese:r auch schon Bottom surgery hatte – oder dies überhaupt machen möchte. Jede Trans Person ist individuell und auch die gewünschten Transitionen sind sehr unterschiedlich.

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Interview mit einem Betroffenen

 

Max Mustermann (Name von der Redaktion geändert) ist Student in Wien und hat sich bereit erklärt, uns ein paar Fragen zu beantworten.

Um gleich richtig zu beginnen: Was sind deine Pronomen?

Im Deutschen er/ihm oder einfach den Namen und im Englischen he/they, aber ich habe eine Präferenz zu he.

 

Wie würdest du deine Geschlechtsidentität definieren?

Eher Transmännlich, ich muss eine innere Hürde überwinden, wenn ich sage, ich bin ein Mann, deshalb mag ich den Schirmbegriff “genderqueer” ganz gerne.

 

Wann hast du mit deiner Transition begonnen und was waren die ersten Schritte?

Ich glaube, man muss ein bisschen differenzieren zwischen sozialer Transition und medizinischer Transition. Bei der sozialen Transition meine ich den Moment, an dem man anfängt, Leuten zu sagen, dass man trans ist, wo man in seiner gewünschten Rolle auftritt, so wahrgenommen und angesprochen wird. Mit der sozialen Transition habe ich ca. 2017 begonnen. Es hat natürlich etwas gebraucht, bis ich es mehreren Leuten erzählt habe. Medizinisch würde ich auch noch einmal differenzieren zwischen der ersten psychologischen Behandlung, bei der ich es angesprochen habe, das war auch ca. 2017. Der Weg zur Hormontherapie und zur medizinisch chirurgischen Behandlung begann erst 2021, als ich zu einem spezialisierten Psychologen gegangen bin. Die Hormontherapie begonnen habe ich dann 2022. Zusammenfassend: psychologisches Gutachten für die Hormontherapie, dann die ganzen Kontrollen, Bluttests, EKG und Ultraschall und dann das Rezept für Testosteron. Im Moment läuft der Prozess, meinen Namen und meine Personenstandsänderung durchzubringen und den Schritt zur Mastektomie zu machen.

 

Wie weiß ich, wie eine Person angesprochen werden möchte?

Am besten du fragst einfach nach, dann weiß auch jede*r, dass du trans freundlich bist.

 

Wenn man die falschen Pronomen verwendet und dann aber gleich draufkommt, dass es die falschen Pronomen waren, wie „löst“ man diese Situation?

Entschuldige dich, verbessere dich, und führ dann einfach das Gespräch fort, mach kein großes Ding daraus. Im Zweifelsfall hilft immer nachfragen.

 

Was war deine persönliche Erfahrung im medizinischen Bereich bezüglich Transitioning?

Ich hatte sehr gute Erfahrungen, ich habe von anderen auf jeden Fall viel schlechtere Sachen gehört. Meine erste Erfahrung war eine Psychologin, die nicht geschult, aber dafür sehr offen war. Meine zweite psychologische Erfahrung war mit einem trans-geschulten Psychologen, der das dann sehr professionell abgewickelt und mich unterstützt hat. Über die Endokrinologie habe ich eine eher gespaltene Meinung. Einerseits bekam ich vom Pflegepersonal eine sehr gute Unterstützung. Bei der Ärztin sind einige kleinere Sachen passiert, die eher unangenehm waren. 1,5 Jahre lang wurden immer feminine Begriffe in den Berichten und Behandlungsplänen verwendet. Es wurde sowohl studentessa (ital. Studentin) als auch mein Deadname verwendet, obwohl ich am Anfang der ersten Sitzung gefragt worden bin, ob der bevorzugte Name passt. Mittlerweile hat sich das auch ein bisschen gelegt, ich glaube, weil ich jetzt mehr dem Geschlecht ähnlich sehe, dem der Name entspricht, was natürlich kein Kriterium sein sollte.

 

Findest du, dass medizinisches Personal über genug Wissen zum Thema Transidentität verfügt?

Definitiv nicht. Natürlich muss man nach Fachgebiet differenzieren. Fachgebiete, die sich vielfach nicht mit Trans Themen beschäftigen, haben ein enormes Unwissen in diesem Bereich.

 

Hält dich deine Trans-Identität davon ab, Arzttermine wahrzunehmen, welche nichts mit deiner Transition zu tun haben?

Ja, also ich habe z.B. einen Derma-Termin 1,5 Jahre hinausgeschoben, weil ich sehr große Angst davor hatte, eine schlechte Erfahrung zu machen. Wenn ich irgendeine Behandlung in Anspruch nehmen muss, habe ich diesen 2. und 3. Zweifel, brauche ich das wirklich, weil ich nicht als Trans Person hingehen möchte, auch wenn es nicht trans-spezifisch ist. Ein weiteres Beispiel dazu ist ein psychiatrischer Termin. Ich bin mit der Einstellung hingegangen, dass ich das Thema einfach nicht ansprechen werde, weil ich davor auf dieser Abteilung sehr schlechte Erfahrungen gemacht habe. Ich hatte Angst davor, nicht ernst genommen zu werden. Es war sehr wichtig für mich in dem Moment, eine Behandlung zu bekommen. Die Möglichkeit, dass das nicht möglich sein könnte, weil die Person transfeindlich ist, hat mir eine riesige Angst gemacht und dann hätte ich lieber das ganze Thema trans sein, obwohl es sehr viel in die ganze Thematik hineinspielt, nicht angesprochen.

Bezüglich präventiver Gyn-Besuche: Ich weiß, dass Gynäkolog:innen so ziemlich alles gesehen haben, ich habe trotzdem noch Angst, zu einer Visite zu gehen. Bis jetzt war ich noch nie bei Gynäkolog:innen, außer einmal, um meine geplante Mastektomie zu besprechen.

 

Viele haben Angst, etwas Falsches zu sagen und vermeiden dann das Thema generell. Findest du es besser, wenn Leute Fragen stellen/es versuchen oder bist du “beleidigt”, wenn ins Fettnäpfchen getreten wird?

Mir ist es persönlich viel lieber, wenn die Leute Fragen stellen oder es versuchen. Ich bin auch nicht schnell beleidigt, weil ich verstehe, dass Menschen neugierig sind, und ich gebe ihnen immer den „Benefit of the doubt“, also dass sie entweder zu wenig darüber gelesen haben oder zu wenig Kontakt zum Thema hatten. Im medizinischen Bereich sollte es weniger Spielraum geben, da es sich um ein professionelles Umfeld handelt. Medizinische Fragen sollten nicht aus Neugier gestellt werden, sondern nur, wenn sie von medizinischer Relevanz sind. Besonders bei Trans-Thematiken handelt es sich nämlich teils um sehr intime Fragen. Ein guter Richtwert ist: Würde ich diese Frage Cis Patient
auch stellen?

 

Außerhalb deiner Transition, hast du eine schlechte Erfahrung im medizinischen Bereich gemacht?

Ja, im dermatologischen Bereich. Ich ging wegen starker Akne hin, welche auch durch die Hormontherapie ausgelöst wurde. Die erste Reaktion von ihrer Seite war, dass sie mich nicht behandeln können, weil ich selbst schuld bin, weil ich mir das selbst ausgesucht habe. Wenn ich Hormone nehme, können sie das nicht ändern, außer ich setze meine Hormone ab. Der zweite Termin lief allerdings viel besser. Ich hab’s nicht selbst angesprochen. Ich kann mir gut vorstellen, dass es intern gelöst wurde. Ich wurde dann auch mit meinem gewünschten Namen angesprochen und gut behandelt.

 

Was würdest du dir von ärztlichem Personal am meisten wünschen?

Einfach den Willen, Neues zu lernen und Menschen zu akkommodieren, die man vielleicht nicht immer versteht, aber mit dem Ziel, sie so gut zu begleiten wie möglich. Egal, ob es jemand nachvollziehen kann, egal, ob jemand das Verständnis dafür hat – man muss dieser Person helfen und sich vielleicht auch die Zeit nehmen, sich einzulesen und auch das Gespräch mit Trans Personen in einem angemessenen Rahmen zu suchen. Man sollte auch im Kopf behalten, dass wenn Trans Personen nach bestimmten Sachen fragen (wie z.B. könnte ich meinen Namen auf dem Formular ändern), dass dies viel Mut gekostet hat und dass die Reaktion des ärztlichen Personals sehr weite Folgen tragen kann. Wenn man eine schlechte Erfahrung macht, dann bleibt einem das lange im Kopf und dann spricht man es dann bei einer nächsten Behandlung vielleicht gar nicht mehr an.

Long story short, ich wünsche mir das Verständnis für die Machtposition, in der ihr seid, und das Wissen, dass eure Reaktion einen großen Einfluss hat.

 

Vielen Dank für das Interview! 

 


Quellen (Text): 
Nora Nicolussi Moz

Nora Nicolussi Moz

Redakteurin

Nahuel Vivas

Nahuel Vivas

Redakteur

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