Freizeit, Sport, Kommentar

Laufschuhe und Verletzungen

29. November 2024
Laufschuhe sind bequem, bunt und schützen vor Verletzungen. Letzteres ist fester Bestandteil von Werbekampagnen und „Jogging“-Ratgebern. Aber was ist wirklich dran an diesem Versprechen? Sollten Physiotherapeuten und Orthopäden Angst haben, dass Laufverletzungen schon bald der Vergangenheit angehören und sie arbeitslos werden?
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von Gianluca Purzer

Die Läufer unter uns wissen es: Sport ist Mord. Besonders der Laufsport. Achillessehne, Plantarfaszie, KniescheibeKein organisches Gewebe scheint der malträtierenden Aufprallmassage durch den Asphalt gewachsen zu sein. Deswegen tragen wir ja die teuren Verpackungen an unseren Füßen.  

Danny Zuko und seine T-Birds stehen in Converse am Sportplatz 

Während im weltberühmten Film Grease (1978) John Travolta noch mit schlichten High-Top-Sneaker der Marke Converse seine Runden auf der Tartanbahn läuft, sind wir heute davon überzeugt, dass nur mit hochtechnologischen Dämpfungskissen mit Boost oder Lightstrike Schaumstoff, FF Turbo Dämpfung, Continental Gummi und atmungsaktiven Obermaterialen der Laufschritt entlang des Flusses sicher ist. Ambitionierte, denen das Wolkengefühl zu weich ist, haben mittlerweile die Möglichkeit, Härte zu zeigen und Karbonplatten unter ihre Tretmühlen zu schnallen. Nichts überzeugt vorbeilaufende Nachmittagsjogger vom eigenen Engagement mehr, als wenn man wie Bladerunner Oscar Pistorius durch die Luft gleitet 

Das ist ebenfalls ein „Bladerunner“. © Privat 

Verbindungsglied Laufschuh

Laufschuhe sind die Schnittstelle zwischen unseren Füßen und dem harten Boden. Daher scheint es erstmals völlig nachvollziehbar, dass Schuhe eine wichtige Rolle beim Management kontinuierlicher mechanischer Belastungen auf unsere Gelenke, Knochen und Muskeln spielen.  

Da wundert es niemand, dass die erste Frage immer die gleiche zu sein scheint. Egal ob in einem Laufschuhgeschäft oder beim Physiotherapeuten. Wie lange läufst du schon mit diesen Schuhen?

Völlig unbeeindruckt, ob gestern erst angeschafft oder schon seit fünf Jahren täglich getragen, Schuld an Verletzungen ist immer der Schuh.

Verschiedene Claims. © 3. 

Den Grund in den Schuhen zu suchen, hilft natürlich auch der Schaumstoff/Plastik Industrie (Ja, dein Laufschuh besteht mir 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit zu 99 Prozent aus Erdöl!). Der Laufschuh-Markt ist jährlich über 30 Milliarden Dollar schwer ist und Prognosen zufolge am Ende des Jahrzehnts nochmal um fast 10 Milliarden Dollar wachsen soll (1). 

Bevor ich es vergesse: Mit Laufverletzungen meine ich hier nicht das gebrochene Sprunggelenk, weil man spät abends doch noch eine Runde am Fluss laufen wollte; oder den gebrochenen Zeh, weil man mit “Barfußschuhenwie unsere Ahnen durch Stock und Stein springen wollte und der Stein dann doch gewonnen hat. Ich meine Überlastungsverletzungen.

Denn tatsächlich hat jeder zweite Läufer in seiner Karriere eine Verletzung hinter sich und 85 Prozent dieser Verletzungen sind eben überlastungsbedingt.

 

Schuhgeschäft-Theorie

Bevor wir uns die Daten aus der Forschung anschauen, sollten wir einen Blick auf die Versprechen der Laufschuhhersteller werfen. Entsprechend der berühmten und weit angewendeten „Schuhgeschäft-Theorie“, müssen Läufer mit Hohlfuß „Cushioned“- bzw. gedämpfte, Läufer mit Plattfuß einen „Motion-control“ bzw. „Stability“- und Läufer mit normalen Füßen neutrale Laufschuhe tragen.  

Die Begründungen scheinen nachvollziehbar:

Mit einem Hohlfuß geht normalerweise eine verringerte Pronation einher. Also eine exzessive Supination – ein mehr oder weniger leicht nach außen gedrehter Fuß. Diese Fußstellung soll zu einer „exzessiven“ Aufprallkraft auf das Fußgewölbe führen. Um diese abzufedern, braucht es einen flexiblen Schuh mit weicher Sohle.

Der Plattfuß kommt mit einer exzessiven Pronation. Das Fußgewölbe dreht sich nach innen und sackt nach unten ab, sodass der Plattfüßler im Schwimmbad den größten Fußabdruck hinterlässt.  Motion-control“-Schuhe haben nun die Aufgaben diese exzessive Innenpronation einzuschränken und dadurch dafür zu sorgen, dass der Fuß noch mit dem “Dreifachen deines Körpergewichts” werden kann.

Der normale Fuß bekommt ein bisschen von beidem. Etwas Polsterung gepaart mit einer leichten Innenstütze.  

 Der Prof. im Laufschuhgeschäft © 4

Das Problem mit der Laufgeschäft-Theorie

Aber was ist dran an dieser Erzählung? Haben die Schuhe solch einen großen Einfluss auf Verletzungen wie von vielen Herstellern behauptet.

Lasst uns gleich die Laufgeschäft-Theorie kritisieren. Sie ist für Wissenschaftler problematisch, da sie ausschließlich auf der Einschätzung von Expertenbasiert und nicht auf wissenschaftlicher Erkenntnis.

Also was sagt uns diese wissenschaftliche Erkenntnis 

Zwei Dinge scheinen bei Läufern so sicher zu sein wie das Amen in der Kirche. Zum einen tendieren sie dazu verletzt zu sein. Zum anderen schieben sie den Schuhen gerne die Schuld in die Schuhe.

Für eine Studie haben sich Wissenschaftler die Mühe gemacht, die (lädierten) Stinkefüße von 7000 Soldaten zu inspizieren und in zwei gleich große Gruppen einzuteilen. Die tatsächlichen Versuchskaninchen bekamen Schuhe zugewiesen, die ihrem Fußgewölbe angepasst waren. Die Kontrollgruppe hingegen handelsübliche stability“-Laufschuhe. Das Ergebnis: Die Verletzungswahrscheinlichkeit war in beiden Gruppen gleich groß.

Wenn sich jetzt einige von uns nicht mit Soldaten identifizieren können, keine Sorge. Eine weitere Untersuchung hat Hobby-Jogger fünf Monate lang begleitet. Die 247 Läufer bekamen entweder eine weiche oder eine 15 Prozent härtere Sohle. Auch hier ein ähnliches Ergebnis: Kein signifikanter Unterschied in der Verletzungswahrscheinlichkeit zwischen den Gruppen.

Nicht nur scheint die Steifigkeit der Sohle wenig Einfluss auf Verletzungen zu haben. Auch der Heel-totoe-drop– den Höhenunterschied zwischen Ferse und Vorfuß, auch Sprengung genannt – hat wenig Einfluss auf Verletzungen.

Das Ergebnis der dazugehörigen Untersuchung ist so klar wie deutlich: Die Forscher konnten keinen Zusammenhang zwischen Höhe der Sprengung und Verletzungsrisiko feststellen.

 © 5

Mit dem Schuh zum perfekten Laufstil 

 Auch die die aktuell gängige Praxis, Läufern einen gewissen Laufschuh mit erhöhtem und gepolsterten Fersensegment oder Pronationsstützen zu verschreiben, um ihren Fußtypus zu entsprechen, ist nicht evidenzbasiert.

Leider muss ich auch all jene, die sich durch den Kauf eines Profimodells auch einen ProfiLaufstil erhoffen, enttäuschen. Auch der maßgeschneiderte Schuh kann dich nicht vom Hatscher zum ostafrikanischen Läufer machen und dich dadurch vor Verletzungen schützen.

Aber eine gute Nachricht gibt es in Bezug auf Barfußschuhe. Zwar können diese alleine nicht den Laufstil verändern und sogar bei zu eifriger Nutzung in der Gewöhnungsphase zu einem erhöhten Verletzungsrisiko führen, aber das Neuerlernen eines Vorfußlaufes, der gezeigt hat schonender zu sein, könnte vereinfacht sein.

Zusammenfassend eine Metastudie aus dem Jahr 2022: Diese hat sich andere Studien angeschaut, was Metastudien halt so machen, und kam zu dem Ergebnis, dass keine Reduktion von Verletzungen der unteren Extremitäten beim Laufen beim Vergleich verschiedener Laufschuhtypen existiert.

 

Back to the theory 

Aber halt mal”, werden einige von euch sagen, “du hast uns jetzt nur Studien zitiert, die allgemein keinen wirklichen Zusammenhang zwischen Schuhen und Verletzungen hervorbringt, aber sicher kann man doch objektiv messen, ob ein Schuh die Biomechanik zum besseren oder schlechter beeinflusst und dadurch das Verletzungsrisiko erhöht oder verringert”.  

Das stimmt. Aber auch hierzu gibt es einige Untersuchungen.

Kommen wir zurück zu unserem gedämpften Schuh von vorhin. In der Theorie wird behauptet, dass er die Aufprallkraft abfedert und dadurch Verletzungen vorbeugt. Das ist zudem auch für Läufer von Vorteil, die mit der Ferse den Boden zuerst berühren auch Rückfuß oder Fersenläufer genannt. Allerdings haben Experimente gezeigt, diese Aufprallkräfte nicht von der Härte der Sohle beeinflusst werden, sondern von höheren Geschwindigkeiten. Anders ausgedrückt: schnellere Läufer generieren größere Aufprallkräfte als langsame und dies kann nicht durch den Laufschuh wesentlich abgefedert werden

Die Pronationsstützen sollen ein Innenrotieren des Fußes vermeiden. So die Laufschuh-Geschäft-Theorie. Forscher haben getestet, ob zum einen solche Stützen einen Einfluss auf den Rückfuß, der von Talus und Calcaneus gebildet wird und dem hinteren Teil der Fußwurzel entspricht, während dem Laufen haben. Zum anderen den Einfluss auf das Schienbein. Die Forscher fanden heraus, dass die Stützen keine wesentlichen Auswirkungen auf die Skelettkinematik von Rückfuß und Schienbein hatten und es größere Unterschiede zwischen den Probanden als innerhalb der Probanden gab. Was so viel heißt, dass der Schuh keinen Einfluss hatte.

 

Der wahre Grund für Verletzungen

Aber was sind nun die Gründe für Laufverletzungen, wenn die Schuhe es alleine nicht sein können?  

 Wie bereits Philosophen es aussprachen, „Phänomene sind nicht durch eine einzige Ursache bestimmt, sondern durch ein Netzwerk von Bedingungen, die miteinander in Wechselwirkung stehen“. 

So ist es auch bei Laufverletzungen.  

Mehrere Faktoren begünstigen eine Verletzung. Die allermeisten können allerdings keine Verletzung provozieren. Das bedeutet, dass Übergewicht oder der falsche Laufschuh nicht zu einer Verletzung führt.  

Ein einziger Faktor hat allerdings konsistent gezeigt, dass er zu Verletzungen führt. 

Luc ist 23 Jahre alt. Luc hat bis vor kurzem Fußball gespielt oder ist im Schwimmbad auf und ab geschwommen. Luc hat von seinen Freunden den Startplatz für einen Marathon bekommen. Luc denkt sich, dass er noch drei Monate Zeit hat. Luc merkt zwei Wochen vor dem Rennen, dass er zu wenig gelaufen ist. Luc läuft in 13 Tagen so viel wie andere mit dem Auto fahren. Luc ist am Renntag verletzt.  

Der einzige Faktor ist die Tragfähigkeit eures Körpers.

Macht man zu früh zu viel, ist das eine Einladung zur Verletzung.

Der Laufschuh kann höchstens einen kleinen Einfluss auf das „zu viel“ haben.

 

Schlusswort 

Laufschuhe spielen nicht die Hauptrolle bei Überlastungsverletzungen. Dies ist dem Trainingsumfang vorbehalten. Physiotherapeuten und Orthopäden können aufatmen.

Wofür es tatsächlich Evidenz gibt, ist, dass das Rotieren verschiedener Laufschuhe das Verletzungsrisiko verringert. Eine mögliche Ursache könnten die wechselnden Belastungen der Muskeln und Gelenke sein, die durch unterschiedliche Schuhe entstehen.

(1) Einer Hochrechnung zufolge werden im Jahr weltweit zwei Milliarden Schuhe produziert. Nehmen wir an, dass 20 Prozent davon Laufschuhe sind, dann bleiben uns 400.000.000 Laufschuhe, die jährlich aus der Gussform fallen. Da sich Ozeanplastik nicht in der Laufschuh-Herstellung durchsetzen konnte, können wir eine konservative Schätzung abgeben über die Menge an jungfräulichem Erdöl, die in unseren Schuh fließt.

Ein herkömmlicher Laufschuh wiegt 170 Gramm. 80 Prozent davon Kunststoff. Aus vier Gramm Erdöl bekommt man ein Gramm Kunststoff (Pi x Daumen). Ungefähr 700 Gramm Erdöl pro Laufschuh. Macht 280.000 Tonnen Erdöl, die nur für die Materialien jedes Jahr in unsere Laufschuhe fließen. Zur Veranschaulichung entspricht dies der Spritmenge, die 77000 Autos im Jahr verbrauchen (bei 55000 gefahrenen Kilometern).  

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Genderhinweis: Allein aus Gründen der Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.
 

Quellen (Bilder): 
  • Hauptbild: pixabay
  • (3) + (4) + (5): Medicus-Fotoredaktion
Gianluca Purzer

Gianluca Purzer

Redakteur

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