Was macht denn der Oktopus da?
Der Weltfrühchentag oder offiziell auch World Prematury Day genannt, wird genau heute, am 17. November, seit 2011 in über 60 Ländern gefeiert. Denn es muss auf die Besonderheiten, Schwierigkeiten und Erfolge der kleinen Held:innen und ihren Familien aufmerksam gemacht werden.
Aus diesem Anlass möchten wir diesen Artikel dem ersten Freund der Frühchen widmen und aufklären, wie wichtig er ist und wie man selbst dazu beitragen kann, dass auch weiterhin jedes „Brutkastenkind“ einen Helfer an seiner Seite hat: den Oktopus.
Vor genau zehn Jahren (2013) fand der erste Oktopus in Dänemark zu seinem Frühchen. Eine Mutter häkelte den kleinen Oktopus selbst und konnte ziemlich schnell an ihrem Neugeborenen feststellen, dass die Atmung stabiler wurde und der Herzschlag regelmäßiger. Seitdem versucht die Neonatologie in über 30 Ländern allen zu früh geborenen Säuglingen, einen persönlichen, handgemachten Oktopus in den Inkubator beizulegen, der natürlich bei Krankenhausentlassung mit nach Hause genommen werden darf.
Aber ich möchte hier kurz ausholen; warum gibt es den Weltfrühchentag erst seit knapp 12 Jahren und diese wichtigen Helfer erst seit 10?
Das lässt sich so beantworten: Die medizinische Entwicklung nahm in den letzten Jahrzehnten rasant zu, darunter auch das Wissen um die Versorgung von kritisch kranken Säuglingen. Die Überlebenschancen all jener, die vor der 37. SSW auf die Welt kommen oder <2500 Gramm wiegen, sind in unserer jetzigen Zeit erfolgreicher und vielversprechender als je zuvor.
Jedoch ist eine Frühgeburt noch immer ausnahmslos mit gewissen Risiken und Hürden verbunden, die das Neugeborene, das medizinische Versorgungsteam und die Eltern zuerst gemeinsam meistern müssen. (Eine Auflistung der noch ungelösten Probleme in der Neonatologie findet ihr ganz unten verlinkt.)
Damit ihr euch mehr darunter vorstellen könnt: Zwischen der 24. und 34. SSW sind weder Gehirn noch Lungen genug ausgereift, der Wärmehaushalt kann nicht selbstständig reguliert werden und die Nahrungsaufnahme muss mittels passender Ernährungssonde erfolgen, da zu diesem Zeitpunkt die Saug- und Schluckreflexe noch nicht bewusst koordiniert werden können. Zusätzlich können wichtige psychologische Entwicklungsfaktoren, wie die Bindung und das Vertrauen zu den Eltern, durch die Isolierung im Inkubator nicht aufgebaut werden.
Der Greifreflex hingegen ist bereits ausgereift und kann für so manche Komplikationen in der kritischen Inkubationszeit sorgen und dem Säugling mit vielen Versorgungsschläuchen sogar schaden. Genau hier wirken diese ausgefallenen Meeresbewohner ihr Wunder.
Wie kann das aber sein?
© Verein Oktopus für Frühchen Österreich
Die speziell handgehäkelten Baumwoll-Oktopusse bieten den Säuglingen eine Orientierungsstütze und damit wird gleichzeitig die erste Vertrauensbasis an ihre isolierte Umgebung aufgebaut. Seine vielen Tentakel, die wichtigsten und auffälligsten Teile der Meeresbewohner, simulieren erfolgreich die Nabelschnur, an die sich die Neugeborenen nicht nur im Mutterleib gewöhnt hatten, sondern von der sie auch versorgt wurden und die nun nicht mehr da ist. Oft wird nicht nur eine Sonde zur Ernährung angelegt, auch kommt zusätzlich ein Versorgungsschlauch zur künstlichen Beatmung dazu – viele Schläuche, die die Neugeborenen durch den Greifreflex unabsichtlich festhalten und herausreißen könnten. Das sorgt bei Groß und Klein für zusätzliche Stressbelastung, da die Schläuche zur weiteren Versorgung und Infektionsvermeidung schnellstmöglich nach dem Herausreißen gewechselt und neu angelegt werden müssen. Dass die ganze Situation auch mit Schmerzen für die Neugeborenen verbunden ist, kann sich jeder vorstellen.
Belegt ist der medizinische Nutzen der Häkel-Tiere nicht, aber den Vorteil und den Komfort, die sie den kleinen Säuglingen und somit gleichzeitig deren Eltern geben, kann jeder, der schon einmal Augenzeuge in der Neonatologie war, bestätigen. Dadurch, dass der Kuscheloktopus aus Baumwolle besteht, wird bei längerem Hautkontakt zusätzlich eine gewisse Wärme erzeugt, was auch zum Wohlbefinden deutlich beiträgt. Deshalb haben die Tirol Kliniken schon einmal einen Aufruf auf Facebook an alle Häkelbegeisterten gestartet. Wir haben uns informiert und es sind auch hunderte Oktis damals eingelangt, aber einige davon waren nicht für Frühchen geeignet. Da es keine Firma oder Unternehmen gibt, die diese Oktopusse Leitfaden-gerecht häkeln und an Krankenhäuser verteilen, lebt das Projekt aus der freiwilligen Mitarbeit der Menschen. Erwähnen möchte ich an dieser Stelle auch die bereits verstorbene Frau Hildegard Schranz, die nach dem Aufruf der Tirol Kliniken 2019 eine Initiative zum Häkeln von Kraken für Frühchen startete und mit drei weiteren Bewohnerinnen der Seniorenanlage der ISD, über 80 Oktopusse in kürzester Zeit der Innsbrucker Frühchenstation übergab. Die Frühchen Innsbrucks bekommen ihre Oktopusse noch immer von Spenden häkelbegeisteter Damen. Erfolgreich etabliert hat sich österreichweit auch der Verein Oktopus für Frühchen Österreich mit Sitz in Schwechat. Das von der Kinderkrankenschwester Dorota Nawrot-Dowlasz gegründete Projekt hat mittlerweile bereits über 300 häkelnde Hände. Seit Vereinsgründung 2020 konnten ganzen 4.600 zu früh geborenen Säuglingen österreichweit ein eigener Kuschelfreund übergeben werden und in der Geburtsstadt der Oktis, Dänemark, sind es seit 2013 sogar über 67.000.
Aber nicht so schnell! Man sollte auf keinen Fall Freestyle gehäkelte Oktopusse einfach so ins Spital bringen! Um genau zu sein (und das wollen wir) dürfen die selbstgemachten Stofftiere nicht einfach so gespendet werden. Da diese offiziell als Spielzeug gelten, brauchen sie (in Österreich zumindest) das CE-Zeichen (Spielzeugzertifizierung).
Für dieses CE-Zeichen gibt es einiges, was bei der Herstellung der Meeresbewohner zu beachten ist; 100% Baumwolle – die bei 60 Grad gewaschen und getrocknet werden kann, eine gewisse Tintenfischkörperlänge, eine bestimmte Tentakellänge – die sich auch gut eindrehen soll, keine Löcher in den Maschen oder herausschauende Fäden und die Auflistung geht noch weiter…
All das muss streng eingehalten werden, um die kleinen Kämpfer:innen bestmöglich zu unterstützen. Sie sollen für sie keineswegs eine zusätzliche Gefahr darstellen, indem die Oktopusse fusseln oder gar zu schimmeln beginnen – da gibt es keinen Weg drumherum.
© Verein Oktopus für Frühchen Österreich
OHJE – Jetzt klingt das mit dem Kraken für euch doch komplizierter als nur im nächsten Drogeriemarkt Wolle zu kaufen und irgendwie drauf loszuhäkeln? Das dachte ich erst auch, aber nicht verzagen – hier den Medicus fragen!
Die meisten Länder haben eine Vereinsseite mit einer eigenen PDF-Häkelanleitung, die detailliert zusammenfasst, auf was man achten soll.
Wir verlinken euch die Häkelanleitung des österreichischen Vereins Oktopus für Frühchen im Quellenverzeichnis.
Eine Spende an die Neonatologische Intensivstation Innsbruck kann persönlich erfolgen und euer Oktopus wird vor Ort auf Eignung für Frühchen evaluiert. Ihr findet sie im 2. Stock der Frauen-Kopf-Klinik (Pädiatrie II).
Tipp: wenn man auf Material, Körper- und vor allem Tentakellängen achtet, wie in allen Anleitungen im Internet angegeben, kann nicht mehr viel schief gehen. Nicht geeignete Oktopusse werden aber nicht weggeschmissen, die kommen an die Geschwisterkinder und finden ebenfalls ihr Lebensglück. Falls ihr dennoch ansteht und fragen habt, könnt ihr der Neonatologie gerne auf Instagram direkt Fragen stellen (@NICU_tirol).
Bei Spenden an den Verein läuft das ganze so: Jeder Oktopus vom Verein Oktopus für Frühchen Österreich trägt nach einer strengen Kontrolle stolz das CE-Zeichen und wird kostenlos an die verschiedenen Krankenhäuser verschickt.
Falls ihr keine Möglichkeit habt, die Materialien selbst zu besorgen, bietet euch der Verein ein Oktopus-Häkel-Paket an, welches direkt zu euch nach Hause geschickt wird.
Bevor euer finales Handwerk zu einem Frühchen finden kann, muss eine Mitgliedschaft abgeschlossen und eine Probe eures Oktopusses eingeschickt werden. Die Mitgliedschaft kostet 10 Euro im Jahr. Gerne kann man auch direkt dem Verein eine Spende zukommen lassen, falls das Häkeln einem nicht möglich ist. Erzählt es auch gerne weiter und redet über das außergewöhnliche Kuscheltier! Wer weiß, wen man da begeistert, denn jede Form der Unterstützung zählt!
Übrigens, wer eine detailliertere Häkel-Einschulung möchte (was für Neulinge bestimmt eine große Hilfe ist), für den gibt es auch eine Vielzahl von Anleitungsvideos auf YouTube – sogar in verschiedenen Sprachen.
Denn wie wir alle wissen – Übung macht den Meister. Diese Ein-Nadel-Woll-Kunst ist wirklich einfacher und schneller gelernt als gedacht! Frau Hildegard Schranz häkelte an einem Oktopus etwa einen Nachmittag lang. Wie lange brauchst du?
Alle Bilderrechte gehören dem Verein Oktopus für Frühchen Österreich und wir bedanken uns von Herzen bei Frau Monika Kalmar und dem ganzen Oktopus für Frühchen Team, uns diese Bilder zur Verfügung gestellt zu haben.
Quellenverzeichnis:
- Instagram der Neonatologie Innsbruck:
www.instagram.com/nicu_tirol/ - Österreichischer Verein:
www.oktopusfuerfruehchen.at - Anleitung vom Österreichischen Verein:
https://www.oktopusfuerfruehchen.at/anleitung/
- Noch ungelöste Probleme in der Neonatologie:
https://kinderzentrum.tirol-kliniken.at/page.cfm?vpath=paediatrie-ii/forschung - Tirol Kliniken Häkel-Aufruf Facebook Beitrag:
https://www.facebook.com/tirolkliniken.gesundheit/photos/a.209046032471803/2540228872686829/?type=3 - Beitrag Frau Hildegard Schranz
https://www.ibkinfo.at/isd-haekelaktion
- Instagram der Neonatologie Innsbruck:
Ana
Redakteurin