
Thunderbolts* – Marvel wird jetzt intellektuell!

An dieser Stelle folgt eine Spoilerwarnung: Ich werde mehr oder minder den Film zusammenfassen, um auf die einzelnen psychologischen Aspekte einzugehen. Bitte jetzt NICHT weiterlesen, falls ihr den Film selbst noch genießen wollt!
Thunderbolts ist der neueste Film aus dem MCU und seit langer Zeit mal wieder ein packender, neuer Marvelfilm. Natürlich steht die Welt immer noch Kopf und von Tony Stark fehlt weiterhin jede Spur (Ja, ich hoffe, er kommt als Iron Man zurück!), doch seit Guardians of the Galaxy 3 scheint es endlich wieder bergauf zu gehen. Denn Thunderbolts hat mich keinesfalls enttäuscht; im Gegenteil: Ich habe selten eine so offensichtliche und gute Repräsentation von Depressionen und einer bipolaren Störung gesehen.
Aber zurück zum Anfang: Der Film beginnt mit Yelena Belova (der Schwester von Black Widow), die ihre Arbeit leid ist. Sie sagt, sie empfinde nichts mehr, fühle sich hoffnungslos und so, als würde ihr Leben keinen Sinn mehr ergeben. Yelena scheint also in einer tiefen Sinnkrise und wahrscheinlich einer Depression zu stecken. Wobei das kaum verwunderlich sein wird, schließlich wurde sie bereits als Kind zur Soldatin trainiert und hat damit genug traumatische Erfahrungen für ein ganzes Dorf gesammelt.
Yelena bittet ihre Chefin Valentina Allegra de Fontaine darum, endlich nach außen hin auftreten zu dürfen, anstatt nur im Untergrund zu agieren. Yelena möchte gesehen werden. Gesagt getan: Valentina bietet ihr an, einen letzten Job für sie zu erledigen und sich dann darum zu kümmern.
Der Job besteht darin, in ein geheimes Lager einzubrechen und dort ihre Zielperson auszuschalten. Dumm nur, dass jeder der 4 Anwesenden eine andere Zielperson hat. Im Endeffekt sollten sie sich alle gegenseitig umbringen, um Valentina und ihren fragwürdigen Machenschaften nicht mehr im Weg zu stehen. Durch Zufall wird eine Art Transportbox geöffnet, die Bob entlässt. Bob ist ein ganz normaler Typ, zumindest scheint es so…

Marvel hat endlich wieder einen richtig guten Film produziert. © ChatGPT.
Als die Truppe dann aus dem Lager bzw. der Falle ausbrechen will, scheinen sich Yelena und Bob ein wenig anzufreunden. Bob fragt sie, wie sie denn mit der „inneren Leere“, die wir anscheinend alle zu haben scheinen, klarkommt. Yelena meint nur, sie würde es nach unten schieben und versuchen, zu vergessen. Das sei der beste Weg.
Mittlerweile ist mir bewusst, dass auch Bob unter Depressionen zu leiden scheint, denn er versucht, sich bei Yelena Hilfe zu holen. Sie scheint jetzt nicht die besten psychologischen Kenntnisse zu besitzen, denn sie sagt ihm schlicht: „Wir alle sind allein“. Nicht gerade hilfreich, wenn einem der eigene Kopf sowieso schon eintrichtern will, dass man allein ist und das eigene Leben keinen Sinn hat.
Bob eröffnet Yelena, dass er schon öfter daran gedacht hätte, sich das Leben zu nehmen, weil er es einfach nicht mehr aushalte. Er habe diese „guten Tage“, an denen er voller Hoffnung ist und dann schlagartig wieder jene, an denen er nicht mehr weitermachen möchte. Man muss keine Psychiatrie-Vorlesungen gehabt haben, um zu merken, dass Bob wahrscheinlich bipolar ist. Doch dazu später mehr.
Während des Ausbruchs, der maßlos schiefgeht, beschützt Yelena Bob, da sie glaubt, er habe keine Kräfte oder eine Ausbildung wie die anderen. Mit von der Partie sind übrigens auch der fehlgeleitete Captain America John Walker sowie Bucky Barnes, Yelenas Vater und Ava Starr, die Endgegnerin aus dem Film Antman and the Wasp (Ja, Marvel ist dann doch wieder kompliziert). Gemeinsam entkommen sie der Falle, bis sie von Soldaten am Eingang aufgehalten werden.
Die Diskussionen, sich doch bitte auszuweisen, enden damit, dass Bob das Fahrzeug heimlich verlässt und für Aufruhr sorgt, der die Soldaten ablenken soll, damit die anderen entkommen. Hier wird nun klar, welche Kräfte Bob wirklich besitzt: auf ihn wird hunderte Male geschossen, doch anstatt wie ein Schweizer Käse durchlöchert zu sein, hat er keinen Kratzer. Außerdem kann er fliegen und in den Menschen ihre dunkelsten Erinnerungen hervorrufen.
Ein Emmentaler. Zur Info: Nicht jeder Schweizer Käse besitzt Löcher (ein Greyerzer zum Beispiel nicht)
Im Verlauf des Films wird schnell klar, dass Bobs Kräfte auf einem Experiment von Valentina beruhen. Sie wollte ihren eigenen Supersoldaten erschaffen. Nach dem Vorbild von Captain America Steve Rogers sollte Sentry, wie sie Bob nennen wollte, so ziemlich alle Kräfte in sich vereinen. Inklusive Telekinese und allem was dazugehört. Nur blöd, dass Bob emotional ziemlich instabil ist und dadurch auch seine Kräfte gerne mal außer Kontrolle geraten. Sie sind genauso ambivalent wie er selbst.
Besonders seine Fähigkeit, dunkle Erinnerungen zu wecken, wird ihm bald zum Verhängnis. Während Bob von Valentina festgehalten und „ausgebildet“ wird, kommen die Thunderbolts (so nennt sich die Gruppe mittlerweile dank Yelenas Vater) ins Hauptquartier von Valentina, dem ehemaligen Stark-Tower. Ich muss ehrlich zugeben, es tat weh, einen Bösewicht in den heiligen Hallen der Avengers zu sehen.
Bei der Konfrontation wird klar, dass Sentry oder Bob sich sehr schnell hat blenden lassen: Selbst seine Haare sind gefärbt (und sehen scheiße aus) – und er scheint alles zu tun, was Valentina ihm befielt. Durch Yelena’s Hilfe schließlich erkennt er aber, dass er einen freien Willen hat. Vor allem als inkubierter Gott muss er sich eigentlich von Niemandem etwas sagen lassen. Nachdem die Thunderbolts fliehen, konfrontiert Bob Valentina mit seinen neuen Erkenntnissen und greift sie an.
Im letzten Moment kann ihre Assistentin Mel Bob mithilfe eines Notausschalters „deaktivieren“. Bob liegt regungslos am Boden… bis er von purer Schwärze aufgesogen wird und verschwindet. Die Dunkelheit in ihm hat die Macht übernommen.
Im nächsten Moment sieht man einen komplett schwarzen Bob durch die Gegend fliegen und Menschen verschwinden. Zurück bleiben nur dunkle Flecken. Ab hier finde ich die Repräsentation von Depressionen sehr spannend. Nicht nur wird dargelegt, dass Menschen in ihren dunklen Gedanken gefangen sind; nein, irgendwie erweckt es auch den Anschein, als würde man plakativ gezeigt bekommen, wie viele Menschen wirklich von Depressionen betroffen sind. Und es sind eine Menge.
Der Schwarze Bob wird außerdem „The Void“ genannt, also die Leere, die depressive Menschen ständig fühlen und die ihnen das Leben so schwer macht. Er ist Bobs Alter Ego, der ihm nur dunkle Gedanken eintrichtert, in denen er nichts wert ist und es praktisch keinen Sinn gibt, noch zu Leben. Außerdem zieht er andere Menschen mit sich und sperrt sie in ihren schlimmsten Erinnerungen ein.
Yelena, die selbst mit diesen Gedanken zu kämpfen hat, wird von The Void magisch angezogen und begibt sich in die Untiefen ihrer eigenen Kindheit. Dort muss sie von Erinnerung zu Erinnerung springen und versuchen, auszubrechen, bis sie schließlich bei Bob landet.
Dieser erklärt ihr nun unter Tränen, dass er es nicht mehr aushält. Er habe diese guten Tage voller Hoffnung, verspüre dann aber spontan wieder diese Leere, gegen die er nichts unternehmen kann und die ihn aufzufressen droht. Das sei immer schon so gewesen. Auch die anderen Mitglieder der Thunderbolts haben sich währenddessen zu den beiden durchgeboxt. Sie beschließen, dass der einzige Weg, The Void und damit auch seine Depressionen zu besiegen, darin besteht, sich ihm zu stellen.
Vantablack, das schwärzeste Schwarz, könnte an The Void erinnern.
Die Darstellung der Dunkelheit, die alles aufzufressen droht, hat mich selbst sehr gerührt. In etwa so stelle ich mir Depressionen nämlich vor: Dunkel und alles verschlingend, was einem lieb und teuer ist. Dazu noch ein nicht-vorhandenes Selbstwertgefühl und eine gewisse Sinnlosigkeit und schwere Depressionen sind geboren.
Die Konfrontation mit The Void beginnt damit, dass er Bob einreden will, dass das alles keinen Sinn hat. Dass er ein Nichts ist, es nie zu etwas gebracht hat, dass es wahr ist und wir alle allein sind, dass man sich auf Niemanden verlassen kann und er praktisch direkt aufgeben soll. Bob, gestärkt durch die Präsenz seiner neuen Freunde, beschließt, gegen The Void zu kämpfen. Dabei wird er selbst fast von The Void verschluckt, bis Yelena ihm zu Hilfe eilt und ihm sagt, dass er jetzt nicht mehr allein ist. Diese bekämpfte Einsamkeit scheint der Schlüssel zu sein, der ihn schließlich von The Void losreißt und befreit.
Am Ende werden die Thunderbolts von Valentina zu den neuen Avengers ernannt und im ehemaligen Stark-Tower einquartiert. Dabei wird klar, dass Bob mittlerweile wieder ein ganz normaler Typ ist. Ohne The Void hat er seine Kräfte verloren, doch er scheint nicht traurig darüber zu sein: Im Gegenteil, er wirkt sehr gelassen und befreit von seinen Depressionen.
Die Frage ist nur, ob er, um wieder „ganz gesund“ zu werden, nicht vielleicht doch mit The Void zusammenarbeiten, ihn als Teil seines Selbst anerkennen muss, um auf die Dauer wirklich glücklich zu sein? Wir werden sehen, denn die Thunderbolts werden noch einige Auftritte im MCU haben.
Insgesamt fand ich die Repräsentation von der bipolaren Störung/Depressionen in Thunderbolts sehr plakativ, aber notwendig. Viele Menschen können sich oftmals nichts unter diesen Begriffen vorstellen und haben auch mit Philosophie nicht wirklich viel am Hut. Ein schwarze Version von sich selbst, die alles aufzufressen droht und einem noch eintrichtert, man sei Nichts wert, scheint da besser geeignet zu sein. Und mit schwarz meine ich schwarz wie die Nacht. Man erkennt kaum Bobs Gesichtszüge, was das Ganze noch eindrucksvoller macht.
Depressionen können einen verschlingen, sofern man auf das Monster, das in einem wohnt, auch hört. Wenn man sich aber mit seiner „dunklen Seite“ anfreundet und erstmal akzeptiert, dass diese Seite da ist, dann kann man sich von dort an vielleicht weiter vorarbeiten. Marvel zeigt hier eindeutig, wie Therapie funktioniert: Sich seinem Trauma zu stellen ist teilweise der einzige Weg. An den Ort zurückzukehren, der einen verändert und auf tiefgehende Art verletzt hat, ist manchmal das einzige Mittel, um das Trauma auch zu überwinden. Natürlich bitte unter psychologischer Betreuung und ohne, dass Superhelden involviert sind!
Und da soll nochmal einer sagen, dass man durch Superhelden-Filme, Comics und Co. nichts lernt. Im Gegenteil: Auf eindrückliche Weise werden Grundwerte, moralische Vorstellungen und eben auch psychiatrische Erkrankungen dargestellt. Und egal, wie man zu dem Thema mentale Gesundheit auch stehen mag: Man hat Mitgefühl mit Bob, dem schüchternen Typen, der einfach nur ein ganz normales Leben führen will.

Janine Leitner
Redakteurin