
STEMO – Mobile Schlaganfall-Klinik

Das Projekt
Jährlich erleiden mehr als 270.000 Menschen in Deutschland einen Schlaganfall. Vor allem Patient:innen über 60 Jahre haben ein erhöhtes Risiko. Doch auch jüngere Menschen sind betroffen: Rund 30.000 der dokumentierten Hirninfarkte treten bei unter 55-Jährigen auf. Die Sterblichkeitsrate nach einem Schlaganfall liegt bei bis zu 40 % im ersten Jahr. Damit zählt der Schlaganfall zu den drei häufigsten Todesursachen in Deutschland sowie in vielen anderen westlichen Ländern, darunter auch Österreich. Ein Jahr nach dem Ereignis benötigen 60 % der Schlaganfallpatient:innen weiterhin Therapien, Pflege oder Hilfsmittel im Alltag.
Zur Beschleunigung der Diagnostik und Erstversorgung wurde 2011 in Berlin das Stroke-Einsatz-Mobil, kurz STEMO, entwickelt. Dank seiner besonderen Ausstattung und eines spezialisierten Teams können im STEMO stationäre Maßnahmen in den präklinischen Bereich vorgezogen werden und dadurch die langfristige Prognose der Patient:innen verbessert werden.
Innovative Technik im Einsatz
Durch einen speziellen telefonischen Abfrage-Algorithmus zu schlaganfalltypischen Symptomen können potenzielle Hirnblutungen frühzeitig von der Leitstelle der Berliner Feuerwehr identifiziert und ein STEMO gezielt zum Einsatzort geschickt werden. Noch vor Ort ermöglichen das im Rettungswagen eingebaute Computertomographie (CT)-Gerät und das Laborequipment die frühzeitige Stellung der Diagnose. Die CT nutzt Röntgenstrahlen, um das Gehirn in zahlreichen Schnittbildern dreidimensional darzustellen und wird in der Regel als Erstdiagnostik bei Schlaganfällen eingesetzt. Mittels dieser Bildgebung und entsprechender Blutparameter lässt sich die Ursache eines Hirninfarkts rasch zwischen einer Hirnblutung (Hämorrhagie) oder einem Gefäßverschluss (Ischämie) differenzierter unterscheiden. Im Falle einer Ischämie kann unverzüglich mit der Thrombolyse begonnen werden, bei der das Blutgerinnsel, das die Hirnarterie verstopft, aufgelöst wird. Optimalerweise wird die medikamentöse Therapie anschließend ohne Verzögerung in der Klinik fortgesetzt. Diese frühe Intervention kann entscheidend dazu beitragen, bleibende Schäden zu minimieren und die Lebensqualität zu verbessern.
Das im Rettungswagen integrierte CT ist zudem so konstruiert, dass es Röntgenstrahlung effektiv abschirmt und das STEMO-Personal sowie Passanten vor einer möglichen Strahlenbelastung schützt. Dank der geprüften Bleiabschirmung darf STEMO sogar auf öffentlichen Straßen röntgen, jedoch nur im stehenden Zustand. Während eines Röntgenvorgangs informiert eine leuchtende LED-Tafel umstehende Personen. Ergänzt wird die Ausstattung durch telemedizinische Kommunikationssysteme zur kooperierenden Klinik.
Interdisziplinäre Expertise
Das dreiköpfige Einsatzteam an Bord besteht aus einer:m Neurolog:in mit Notarztqualifikation sowie einer:m Medizinisch-Technischen Radiologieassistent:in (MTRA) mit zusätzlicher Rettungssanitäterausbildung. Ergänzt wird das Team von einer:m Notfallsanitäter:in der Berliner Feuerwehr.
Für das Befunden der CT-Bilder kann bei Bedarf durch moderne Telemedizin auf die Beurteilung der neuroradiologischen Kolleginnen und Kollegen des Krankenhauses zurückgegriffen werden.

© DALL·E von OpenAI hat sich kreativ für den Medicus ins Zeug gelegt.
Time is Brain
Schnelle Diagnostik ist bei Schlaganfällen entscheidend, weil jede Minute zählt, um Hirnschäden zu minimieren und die Heilungschancen zu verbessern. Ein Schlaganfall unterbricht die Blutversorgung im Gehirn, wodurch ein Sauerstoff- und Nährstoffmangel entsteht. Dies kann das Absterben von Neuronen zur Folge haben und beeinträchtigt somit die Hirnleistung und -integrität erheblich. Des Weiteren unterliegen Behandlungsmöglichkeiten strengen Zeitkriterien. Bei einem ischämischen Schlaganfall ermöglicht eine schnelle Diagnose den Einsatz von Medikamenten für eine Thrombolyse. Die thrombolytische Therapie ist eine Behandlungsmethode, die darauf abzielt, Blutgerinnsel (Thromben) aufzulösen, die den Blutfluss in der Gehirnarterie blockieren. Diese Art der Therapie ist nur innerhalb eines Zeitfensters von 4,5 Stunden nach Auftreten der Symptome effektiv. Die Mechanische Thrombektomie (die Entfernung des Gerinnsels durch einen Katheter) ist hingegen bis zu 24 Stunden nach Auftreten des Hirninfarkts möglich.
Verzögerungen bei der Behandlung erhöhen das Risiko für irreversible Schäden wie Lähmungen, Sprachstörungen, kognitive Einschränkungen oder Pflegebedürftigkeit. Frühzeitige Intervention verbessert die Überlebenschancen und langfristige Prognose. Zudem ermöglicht sie die Prävention erneuter Schlaganfälle durch frühzeitige Behandlung von Risikofaktoren.
Die Studienlage: Weniger Zeitverlust und verbesserte Behandlungsergebnisse
Die B_PROUD– und PHANTOM-S-Studien belegen nachhaltig die Effektivität von Mobile Stroke Units (MSUs) bzw. STEMOs im Vergleich zur konventionellen Versorgung. Die B_PROUD-Studie zeigte, dass eine frühe prähospitale Diagnostik und Intervention mit STEMOs die Rate an Todesfällen und Behinderungen beim akuten Schlaganfall um 26 % senkt.
Die PHANTOM-S-Studie mit rund 6000 Patient:innen zeigt auf, dass die relative Lyserate in Berlin innerhalb von 21 Monaten um 50 % gestiegen ist, da die Lysetherapie direkt im STEMO eingeleitet werden konnte. Dadurch erhöhte sich die Behandlungsrate von Schlaganfallpatient:innen von 21 % auf 31 %. Der Abfrage-Algorithmus der Leitstelle erhöhte außerdem die Hirninfarkt-Erkennungsrate auf 53 %.
Außerdem konnte die Zeitspanne vom Notruf bis zur Behandlung um bis zu 25 Minuten verkürzt werden. In der B_PROUD-Studie erhielten 60 % der STEMO-Patient:innen eine Lyse, fast 13 % davon innerhalb der ersten Stunde nach Symptombeginn. In der Kontrollgruppe wurden nur 48 % lysiert und davon nur 4 % innerhalb der ersten Stunde.
Die Prognose der STEMO-Patient:innen war ebenfalls besser: Rund 7 % der Patient:innen mit STEMO-Versorgung verstarben, verglichen mit etwa 9 % in der Kontrollgruppe. Zudem berichteten 51 % der STEMO-Patient:innen von keinen Alltagseinschränkungen nach dem Schlaganfall, während es in der Kontrollgruppe nur 42 % waren.
Herausforderungen bei der Thrombektomie
Obwohl der STEMO die Zeit bis zur Diagnosestellung verkürzt, zeigt die B_PROUD-Studie, dass sich der Zeitpunkt für eine Thrombektomie nicht immer verbessern ließ. STEMO-Patient:innen wurden im Durchschnitt nach 136 Minuten behandelt, während die konventionelle Versorgung 125 Minuten benötigte. Die gezielte Zuweisung in spezialisierte Kliniken bleibt jedoch ein Vorteil.
Hier ein Eindruck über die MSUs, deren Bilder uns dankenswerterweise von © MEYTEC GmbH Medizinsystem zur Verfügung gestellt wurden. Ein weiteres Bild kreiert von © DALL·E von OpenAI.
Forschungsplattform STEMO
Aufgrund der verkürzten Zeitspanne zwischen akutem zerebrovaskulären Ereignis und Erstbeurteilung durch das Einsatzteam eignet sich das STEMO ideal als mobile Forschungsplattform. Die Forschung zu frühen Schlaganfällen trägt dazu bei, zukunftsweisende Diagnostik und innovative Therapien zu entwickeln.
Aktuell beschäftigt sich das Centrum für Schlaganfallforschung Berlin mit spannenden Forschungsfragen wie: Lassen sich Schlaganfälle mit Hilfe von Biomarkern diagnostizieren und differenzieren? Kann das CT durch ein kleineres, automatisiertes diagnostisches Instrument ersetzt werden? Ist es möglich, Patient:innen mit hämorrhagischem Schlaganfall durch die Gabe des rekombinanten aktivierten Faktor VII innerhalb der ersten zwei Stunden nach Symptombeginn zu helfen?
In den kommenden Jahren wird das STEMO mit Sicherheit noch viele aufschlussreiche Ergebnisse liefern, die diese Fragen weiter vorantreiben.
Entwicklung und Finanzierung
Das STEMO wurde in Kooperation mit der Berliner Feuerwehr und der Firma MEYTEC entwickelt und 2011 erstmals in Betrieb genommen. Die Idee zu dieser Innovation stammt von Professor Klaus Faßbender, Leiter der Neurologischen Klinik der Universitätsklinik des Saarlandes. Bereits 2008 brachte er das erste Schlaganfallmobil in Homburg auf den Weg, welches nun in Berlin dank weitreichender Neuerungen, darunter eine spezielle CT-Halterung für den sicheren Transport, ein integriertes Labor, DICOM-Visualisierung vor Ort sowie Telemedizin mit Remote-Befundung und Telekonsil, weiterentwickelt wurde. Dabei griff die Arbeitsgruppe von Professor Heinrich Audebert, Neurologe mit Schwerpunkt Schlaganfall am Centrum für Schlaganfallforschung Berlin, die Grundidee einer prähospitalen Versorgung auf und setzte sie gemeinsam mit Partnern, darunter auch MEYTEC, als eigenständiges Projekt unter dem Namen STEMO um.
Nach erfolgreicher Erprobung und positiven Studienergebnissen wurde der Berliner Bestand 2017 um mehrere neue Fahrzeuge der zweiten STEMO-Generation erweitert. Heute betreiben neben der Charité Berlin auch das Unfallkrankenhaus Berlin und der Klinikverbund Vivantes jeweils ein eigenes STEMO. Ein viertes Mobil steht jederzeit als Reserve bereit, falls eines der anderen Fahrzeuge aufgrund von Wartungsarbeiten oder TÜV nicht einsatzbereit ist. Die Einsatzzeiten der STEMOs decken nahezu das gesamte Stadtgebiet Berlins ab und sind täglich von 07:00 bis 23:00 Uhr im Einsatz.
Mittlerweile sind Mobile Stroke Units (MSUs) in fast 30 Regionen weltweit entweder im Betrieb oder in Planung. Einige Länder, darunter Norwegen und Australien, setzen zur Rettung von Schlaganfallpatient:innen sogar Hubschrauber ein.
Die Anschaffungs-, Betriebs- und Instandhaltungskosten einer solchen voll ausgestatteten MSU belaufen sich auf rund 1–1,5 Millionen Euro pro Fahrzeug und werden vom Berliner Senat getragen. Um die langfristige Finanzierung des Projekts sicherzustellen, müssen regelmäßig weiterhin positive Studienergebnisse, wie die aus der B-PROUD-Studie, sowie Nachweise über den Erfolg des Projekts vorgelegt werden.
Das STEMO ist ein innovatives Konzept, das die prähospitale Schlaganfallversorgung revolutioniert und durch frühzeitige Diagnostik sowie schnelle Intervention die Chancen auf eine bessere Prognose erheblich steigert. Mit seinem hochmodernen Equipment, darunter ein CT-Scanner und spezialisierte Telemedizin, ermöglicht es eine schnelle und präzise Behandlung direkt am Einsatzort. In den kommenden Jahren wird das STEMO sicherlich weiterhin eine Schlüsselrolle in der Schlaganfallforschung und -versorgung spielen und wertvolle Erkenntnisse für die Weiterentwicklung der Medizin liefern.
Quellen:
- https://stemo-info.de/de/stemo-projekt.php?lang=de
- https://schlaganfallcentrum.charite.de/forschung/ausgewaehlte_projekte/stroke_einsatz_mobil_stemo
- https://www.schlaganfall-hilfe.de/de/presse/factsheets-fuer-journalisten
- PHANTOM-S-Studie: https://clinicaltrials.gov/study/NCT01382862
- B_PROUD-Studie: https://clinicaltrials.gov/study/NCT02869386

Luise
Gastredakteurin