Sanfilippo-Syndrom
Diese progressive Erkrankung ist ein Typ der Mukopolysaccharidose und liegt einem seltenen Gendefekt zugrunde, bei dem es zu einer Akkumulation des Glykosaminoglykans Heparansulfat in den Lysosomen kommt. Während des Fortschreitens der Krankheit zeigen Kinder zu Beginn Verhaltensauffälligkeiten, können im weiteren Verlauf der Erkrankung weder sprechen noch gehen und sterben meistens noch vor dem Erreichen des 18. Geburtstages…
Das Sanfilippo-Syndrom wurde erstmals vom amerikanischen Arzt Sylvester Sanfilippo im Jahre 1963 beschrieben und entspricht dem Typ III von insgesamt sieben unterschiedlichen Mukopolysaccharidosen, wobei es bei allen Typen aufgrund eines Enzymdefektes zu einer Ansammlung von sauren Mukopolysacchariden, auch als Glykosaminoglykane bezeichnet, kommt. Glykosaminoglykane sind langkettige Kohlenhydratketten. Sie bilden einen wichtigen Bestandteil der extrazellulären Matrix des Bindegewebes und werden mithilfe von Enzymen durch die Lysosomen abgebaut. Kommt es jedoch zu einer Genmutation, wodurch die lysosomalen Enzyme nicht korrekt codiert werden können, akkumuliert das Glykosaminoglykan in den Lysosomen. Zu den Folgen gehören schwerwiegende körperliche sowie geistige Entwicklungsstörungen. Das Sanfilippo-Syndrom kann man sich also pathologisch wie folgt vorstellen: Der tagtäglich anfallende Müll im Haushalt wird nicht wie im Normalfall regelmäßig entsorgt, sondern sammelt sich immer weiter zu einem riesigen Berg Müll an. Dieser Prozess ist beim Sanfilippo-Syndrom irreversibel.
Beim Sanfilippo-Syndrom kann das Glykosaminoglykan Heparansulfat nicht ordnungsgemäß abgebaut werden, wobei anhand des mutierten Gens eine weitere Klassifikation in die Typen A, B, C und D vorgenommen werden kann. Bei Typ A, der als der aggressivste Typ gilt, ist eine Mutation am Chromosom 17 Ursache für den fehlerhaften Aufbau des Enzyms Heparansulfamidase. Während sich andere Mukopolysaccharidosen primär in einer körperlichen Symptomatik manifestieren, wird beim Sanfilippo-Syndrom hauptsächlich das zentrale Nervensystem in Mitleidenschaft gezogen, da die Speicherung von Heparansulfat vor allem in Nervenzellen erfolgt.
Das Vererbungsmuster des Sanfilippo-Syndroms folgt dem autosomal-rezessiven Erbgang, wobei es mit einer Prävalenz von 1:60 000 auftritt. Da das Merkmal rezessiv vererbt wird, können Eltern, die beide Carrier des Gens sind, die Krankheit unwissentlich an ihre Kinder weitergeben. Bei gesunden Eltern, die heterozygot das mutierte Gen in sich tragen, besteht bei Fortpflanzung eine Wahrscheinlichkeit von 25 %, dass das Kind am Sanfilippo-Syndrom erkranken wird.
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Unabhängig vom Subtyp des Sanfilippo-Syndroms zeigen Kinder zu Beginn eine weitgehend normale Entwicklung, in der sie sich vermeintlich nicht von gesunden Kindern unterscheiden, was die anschließende Diagnose umso niederschmetternder für die Eltern macht. Vom 2. bis zum 6. Lebensjahr werden die ersten Symptome im Regelfall offensichtlich, wobei Verhaltensauffälligkeiten, Schlafstörungen und beginnende Entwicklungsverzögerungen die ersten Symptome sind, die auf das Sanfilippo-Syndrom hinweisen. Da jedoch diese Symptome als recht unspezifisch eingestuft werden können und sich auch gesunde Kinder zu einem gewissen Ausmaß individuell in ihrem eigenen Tempo entwickeln, ist eine Diagnose im Kleinkindalter recht unwahrscheinlich. Typische Fehldiagnosen sind beispielsweise Autismus, idiopathische Entwicklungsverzögerung oder Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS).
Die zweite Phase des Morbus Sanfilippo ist geprägt vom progressiven Sprachverlust, wobei die überwiegende Mehrheit der Kinder im Alter von fünf bis sechs Jahren vom kompletten Verlust des Sprachvermögens betroffen ist. Ferner treten gravierende Schlafprobleme, Schwerhörigkeit und auch epileptische Anfälle in unregelmäßigen Abständen auf. Im Laufe der Zeit gewinnen auch bestimmte Gesichtsmerkmale an Ausprägung, wobei sich Sanfilippo-Kinder durch viele Haare, prominente Augenbrauen, eine große Nase, volle Lippen sowie eine auffällig hervorstehende Stirn auszeichnen. Im dritten Stadium haben die Kinder vermehrt mit Schluckstörungen zu kämpfen und werden immer unsicherer auf den Beinen, bis sie ihre Mobilität komplett verlieren. Die meisten Kinder sterben vor dem 20. Lebensjahr, wobei eine häufige Todesursache eine Aspirationspneumonie ist.
Obwohl das Sanfilippo-Syndrom nun schon vor mehr als 50 Jahren das erste Mal beschrieben wurde, ist aktuell keine Therapie bekannt, die die Kinder vor der langsamen neurologischen Degeneration retten könnte. Dennoch gibt es vielversprechende Studien, die bereits Wirkstoffe bei Sanfilippo-Kindern eingesetzt haben. So hat sich ein Ärzteteam der Kinderklinik Columbia Adenoviren zur Bekämpfung des Sanfilippo-Syndroms Typ A zu Nutze gemacht. Dabei wurden nicht replizierbare adenoassoziierte Vektoren, welche über das funktionierende Gen für den Heparansulfatabbau verfügen, in das Telencephalon injiziert. Das Ziel besteht darin, dass die Nervenzellen von den Adenoviren infiziert werden und dadurch ebenso über den funktionierenden Genabschnitt verfügen, um das Enzym Heparansulfamidase aufbauen zu können.
Erste Ergebnisse konnten zeigen, dass die Wirkung nicht nur mit höherer Dosis zunimmt, sondern ebenso das Alter der Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer entscheidend ist. Kinder, bei denen die Erkrankung bereits im Kleinkindalter erfolgreich diagnostiziert wurde, konnten besser von der Therapie profitieren und zeigten auch zwei Jahre nach der Injektion gleiche kognitive Fähigkeiten wie nicht-erkrankte Kinder. Weiters konnten die erhöhten Heparansulfatwerte im Blut, Liquor sowie Urin erheblich gesenkt werden. Ein weiterer Ansatz zur Bekämpfung des Sanfilippo-Syndroms, den das Labor „LA Biomed“ in Kalifornien verfolgt, ist der Einsatz von CRISPR-Cas9. CRISPR-Cas9 könnte das Genom der neuronalen Stammzellen der erkrankten Kinder so zuschneiden, dass das fehlende Enzym aufgebaut werden kann, wobei diese Idee erst in den Anfangsstadien und dementsprechend noch weit von der endgültigen Umsetzung entfernt ist.
Merkmale des Syndroms. © (2)
Neben dem Einsatz von CRIPS-Cas9 und den adenoassoziierten Vektoren, wird nicht nur beim Sanfilippo-Syndrom, sondern auch zur Bekämpfung von anderen Mukopolysaccharidosen der Einsatz von Stammzelltransplantationen in Erwägung gezogen. Damit ein Kind jedoch für eine solche Stammzelltransplantationen in Frage kommt, muss die Krankheit bereits im Kleinkindalter diagnostiziert werden. Auch wenn eine frühe Diagnose des Syndroms erfolgt, müssen Eltern abwägen, ob sie ihrem Kind eine Stammzelltransplantation zumuten möchten, da es bis jetzt keinen ultimativen Beweis für die Wirksamkeit von Stammzelltransplantation im Falle von Sanfilippo-Kindern gibt.
Beim Sanfilippo-Syndrom steht natürlich außer Frage, dass die Kinder die Leidtragenden sind. Doch wie gehen Eltern damit um, wenn das Sanfilippo-Syndrom Tag für Tag ein Stück vom eigenen Kind stiehlt und man nur untätig dabei zuschauen kann? Wie lebt man mit der Gewissheit, dass das eigene Kind dem Tod ausgesetzt ist und man es zweifellos überleben wird? In ihrer Hilfslosigkeit nehmen viele Eltern Kontakt zu anderen Betroffenen auf, wodurch die eigenen Erfahrungen geteilt werden können, was möglicherweise die Situation, wenn auch nur minimal, verbessert. Ein Großteil der Eltern drängt vor allem nach einer schnellen Therapiefindung und versucht jeden Moment der verbleibenden, kostbaren Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Viele teilen auch ihre persönliche Geschichte auf Social Media, um mehr Aufmerksamkeit für das in der Durchschnittsbevölkerung unbekannte Sanfilippo-Syndrom zu erregen, mit der Hoffnung die Suche nach geeigneten Therapiemöglichkeiten anzukurbeln.
Zudem wurden auch schon mehrere Organisationen zum Sanfilippo-Syndrom gegründet, wie beispielsweise die „Sanfilippo-Initiative“, „CureSanfilippoFoundation“ oder „TeamSanfilippo“. Alle diese Organisationen haben ein Ziel, nämlich das Sanfilippo-Syndrom zu heilen und die Kinder zu retten. Ebenso gilt seit einigen Jahren der 16. November als „Sanfilippo-Awareness-Day“, an dem sowohl auf die erkrankten Kinder aufmerksam gemacht wird als auch an jene Kinder erinnert wird, die durch das Sanfilippo-Syndrom bereits verstorben sind.
Für die Zukunft bleibt also nur zu hoffen, dass zum einen an den Therapiemöglichkeiten für das Sanfilippo-Syndrom weiter geforscht wird. Zum anderen muss ebenso der Fokus darauf gelegt werden, dass das Sanfilippo-Snydrom frühzeitig entdeckt wird, da in den Anfangsstadien noch mehr Therapieoptionen zur Verfügung stehen und den Kindern mehr Lebensqualität ermöglicht wird.
Quellen (Text):
- Müller, T. Gentherapie bei Sanfilippo-Syndrom erfolgreich. InFO Neurologie-
Psychiatrie. S. 57 – 58. Ausgabe 5. 2021. - https://www.springermedizin.de/emedpedia/detail/paediatrie/mukopolysaccharidosen?epediaDoi=10.1007%2F978-3-642-54671-6_79#Tab1 [24.03.2024]
- https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/a-1523-4758 [24.03.2024]
- https://www.chemie.de/lexikon/Sanfilippo-Syndrom.html [24.03.2024]
- https://sanfilippoinitiative.org/de/medizinische-beschreibung/ [24.03.2024]
- https://www.mps-austria.at/mps-typ-iii-sanfilippo-syndrom/ [24.03.2024]
- https://www.criver.com/eureka/will-a-haunting-rare-disease-finally-meet-its-match [25.03.2024]
- https://curesanfilippofoundation.org/worldsanfilippoawarenessday/[25.03.2024]
Quellen (Bilder):
- Hauptbild: Anja Brems
- (1) Kinderhand: Anja Brems
- (2) Merkmale: Cleveland Clinic
Juliane Hörfarter
Redakteurin