Thema, Wissenschaft

Die Qual der Wahl – über Chancen und Risiken der Reprogenetik

7. Juni 2023
Reprogenetik verspricht das Ende der genetischen Krankheiten. Doch warum dort aufhören? Auch Eigenschaften wie Intelligenz, Größe und Aussehen könnten damit in Zukunft schon vor der Geburt gezielt festgelegt werden. Aus einem ethischen Blickwinkel betrachtete ich dieses Thema bei einem Treffen mit Frau Prof. Dr. Werner-Felmayer.
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von Thomas Hollenstein

Als „Reprogenetik“ bezeichnet man die Schnittstelle der Fortpflanzungsmedizin mit der Humangenetik. Auf Basis der In-Vitro-Fertilisation gibt es mehrere Verfahren, von denen einige schon angewendet werden. 

Dabei kann man grundsätzlich zwei Arten unterscheiden: die genetische Testung zur Auswahl der einzupflanzenden Eizelle einerseits, und die direkte Veränderung des Genoms andererseits. 

Beim Germline Gene Editing wird das Genom der befruchteten Eizelle mittels CRISPR verändert. Dabei werden bakterielle Enzyme genutzt, um gezielt Sequenzen aus dem Genom zu schneiden und durch andere zu ersetzen. Diese Methode wurde bisher nur bei einem Zwillingspaar und einem weiteren Kind in China eingesetzt. Durch Veränderung des CCR5-Rezeptors sollte eine Resistenz gegen HIV geschaffen werden. Öffentlich ist nicht bekannt, ob dies erfolgreich war, also ob die Kinder tatsächlich resistent gegen HIV sind. Ein so weitreichender Eingriff ist laut Prof. Werner-Felmayer ethisch recht eindeutig abzulehnen und derzeit praktisch weltweit verboten, weshalb ich hier eher auf die genetische Testung eingehen will.  

Diese wird auch in Österreich eingesetzt. Sowohl im Rahmen der Pränataldiagnostik – einer genetischen Testung während der Schwangerschaft, die unter Umständen Grundlage für den Abbruch der Schwangerschaft ist – als auch der Präimplantationsdiagnostik. Hierfür muss aber eine eindeutige Indikation vorhanden sein, beispielsweise eine schwere monogenetische Erkrankung in der Familie. In Österreich ist dieses Verfahren im Fall von genetischen Erkrankungen zulässig, die eine schwere Hirnschädigung oder eine starke Beeinträchtigung bewirken, welche den dauernden Einsatz medizintechnischer und anderer Mittel zur Lebenserhaltung erfordert. Wird bei einem Embryo festgestellt, dass er einen derartigen Gendefekt trägt, wird er nicht für die Fortpflanzung verwendet und ein anderer ohne diesen Defekt wird eingepflanzt.  

Was bei monogenetischen Krankheiten wie etwa Tay Sachs gut funktioniert, wird schwierig bei komplexeren Erkrankungen, die von mehreren Genen beeinflusst werden. Mithilfe des PGI, kurz für Polygenic Index, wird ein Genom auf polygenetische Risikofaktoren gescreent. Anschließend wird eine Zahl errechnet, die widerspiegeln soll, wie gesund das Kind sein wird. Wurde in Studien erhoben, dass ein bestimmtes Allel etwa das Risiko für Autismus erhöht, wirkt sich sein Vorhandensein negativ auf den PGI aus. Der Embryo mit dem besten Wert „gewinnt“, nur er wird zum Menschen. In den USA zum Beispiel wird diese Technik auf dem freien Markt bereits angeboten.  

 
© LJNovaScotia; lizenzfrei auf pixabay.com 

Befürworter:innen des PGI argumentieren, dass der Mensch damit an eine Umwelt angepasst werden könne, auf die ihn die Evolution nicht vorbereitet hat. Die ständige Verfügbarkeit von Nahrung führt zu Adipositas und Atherosklerose, also sollen Genvarianten bevorzugt werden, die dem entgegenwirken.  

Doch wer jetzt an das Ende der Zivilisationskrankheiten denkt, ist vielleicht etwas zu optimistisch. Da die Bewertung der Genvarianten rein statistisch erfolgt, ist sie nur so genau wie die zugrundeliegenden Daten. Auch ist unklar in welchem Umfang sich gewisse Eigenschaften so wirklich beeinflussen lassen. Langzeitdaten werden natürlich erst in Jahrzehnten verfügbar sein.  

Alle Eltern wünschen sich gesunde Kinder. Auch soll es das Kind leicht im Leben haben, Intelligenz und gutes Aussehen helfen dabei. Der Wunsch werdender Eltern, auch in diese Eigenschaften einzugreifen, ist also nicht weiter verwunderlich. Eine in Science veröffentlichte Publikation stellte fest, dass 43 % der Befragten bereit wären, durch reprogenetische Maßnahmen die akademischen Chancen ihres Kindes zu verbessern. [1] Angesichts dieser bereits recht breiten Akzeptanz scheint es wichtig, sich mit den ethischen Bedenken auseinanderzusetzen.  

Laut Dr. Werner-Felmayer spricht bei klaren Indikationen grundsätzlich wenig gegen Reprogenetik, vorausgesetzt die genetische Testung wird wie bei uns in Österreich nur eingesetzt, um schwere Krankheiten zu erkennen und dementsprechend zu handeln. Der Vorteil der PID gegenüber der Pränataldiagnostik liegt darin, dass die Auswahl des noch sehr wenig entwickelten Embryos außerhalb des Körpers erfolgt, und nicht erst im Verlauf der Schwangerschaft, die dann bei einem positiven Befund möglicherweise abgebrochen wird.  

Obwohl auch diese Anwendung ethische Fragen aufwirft, sieht sie das wesentliche Problem eher in der Normalisierung solcher Methoden und wie diese die Gesellschaft beeinflussen. Die Möglichkeit zu helfen, wird schnell als Pflicht verstanden. Zunehmende Akzeptanz der Technologie könnte zu immer weitreichenderem Einsatz führen. Gerade vor dem Hintergrund unserer Geschichte ist es nicht vertretbar, Embryonen aufgrund trivialer Merkmale als „lebensunwert“ einzustufen.  

Auch könnten etwa übergewichtige Kinder, die ohne Überprüfung und Selektion geboren wurden, inmitten schlanker Designerbabys ausgegrenzt werden.  

Damit stellt sich auch die Frage nach der Verfügbarkeit. Freie Verfügbarkeit für Alle könnte dazu führen, dass man sich gezwungen fühlt, die Verfahren zu nutzen, um seine Nachkommen nicht zu benachteiligen. Wird die Verfügbarkeit eingeschränkt, etwa so dass nur wohlhabende Menschen Zugriff haben, könnte dies zur Bildung einer 2-Klassengesellschaft führen.  

In der Vergangenheit hat man oft gesehen, dass es bei ethisch kontroversen Themen über die Jahre zu einer Normalisierung und zunehmenden Akzeptanz kommt. Auch In-vitro-Fertilisationen stießen anfangs auf Ablehnung, sind heute aber gängige Praxis. Wird sich die Einstellung zur Reprogenetik ähnlich entwickeln? 

Laut Prof. Werner-Felmayer werden reprogenetische Verfahren vermutlich nie so breit eingesetzt werden, wie Befürworter:innen sich das heute vorstellen. Sie sieht eine Anwendung lediglich bei klaren Indikationen und einigen gut definierten Erkrankungen. Auf „Designer Babys“ brauchen wir uns ihrer Ansicht nach nicht einzustellen, diese sieht sie als elitäre Fantasien von Menschen mit zu viel Geld. In Ländern wie den USA, wo der freie Markt mehr Einfluss auf die Gesetzgebung hat, könnte aber mehr erlaubt werden als bei uns. 

Grundsätzlich ist aus ethischer Sicht jedes Leben lebenswert. Doch ob jedes Leben gleich lebenswert ist, ob wir diese Entscheidung überhaupt treffen können, und wie wir danach handeln sollen, ist nicht so einfach zu beantworten. Man darf gespannt sein, in welche Richtung die Diskussion in der Gesellschaft weitergeht.  

Quelle:
  •  „Public views on polygenic screening of embryos“, M. Meyer et al, Science, February 2023 

 

Thomas Hollenstein

Thomas Hollenstein

Redakteur