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Der Wurm der Woche 2

7. September 2024
Der erste Wurm der Woche hat Dich noch nicht genug angeekelt? Warte, bis Du Bekanntschaft mit Armi machen darfst…
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von Johannes Miehling

Du befindest dich in deinem letzten Tertial des KPJs auf der internistischen Notaufnahme im MZA. Nachdem du bereits früh am Vormittag die Assistenzärzt:innen und die Pflege mit einem halbstündigen Monolog über die erstmal paradox wirkende wurmsterilisierende Therapie von Onchocerca volulus durch Abtöten der endosymbiontischen Wolbachien mittels Doxycyclin merklich begeistern konntest, haben sie aus lauter Dankbarkeit schon um kurz nach neun darauf bestanden, dass du deine wohl verdiente Mittagspause antrittst, im Idealfall nicht in der Nähe der Station. 

Als du pflichtbewusst um kurz nach halb zwei aus dem MZA-Café zurückeilst, platzt du mitten in das angespannte Gespräch deines Lieblingsnephrologen mit dem diensthabenden OA. Grund ist eine ältere Dame mit akuten kolikartigen Oberbauchbeschwerden sowie diffusen abdominellen Schmerzen und Obstipation seit zwei Wochen sowie zunehmender Dyspnoe im gleichen Zeitraum.  Deine Aufmerksamkeit erregen aber insbesondere die offenen Röntgenbilder: 

Eigentlich hattest du vor, die hübsche Pflegerin im Zuge eines bestimmt vielversprechenden Flirtversuchs mit deinem immensen Wissen über Kala Azar bei Infektion mit Leishmania donovani zu beeindrucken, aber bei diesem ganz eindeutigen Fall möchtest du doch kurz teilhaben. Ganz so eindeutig scheint dieser Fall jedoch nicht für alle anderen zu sein, denn als du bei der Anamnese nachfragst, wann die Patientin das letzte Mal rohes Schlangenfleisch in tropischen Regionen rund um den Äquator konsumiert hat, erntest du böse Blicke und dein Lieblingsnephrologe wirkt, als wäre er kurz davor, dich hochkant aus der Koje zu werfen. Als die Antwort jedoch “vor 3 Wochen” lautet, darfst du bleiben. Denn so wie du das Herz auf der Zunge trägst, trägt unsere Schlangenfleischconnaisseurin lauter kleine Zungenwurmlarven in sich. Wieder einmal war dein unabdingbar relevantes tropenmedizinisches Fachwissen das Zünglein an der Waage. Nachdem du schon die vierte fulminante Sepsis in dieser Woche übersehen hast, bei ungefähr jedem Patienten Hilfe beim Zuganglegen benötigst und deine alleinige Anwesenheit mindestens drei personelle Ressourcen bindet, um dem Primum non nocere gerecht zu werden (von den materiellen wollen wir nicht sprechen bei dem astronomischen Verbrauch von Venenverweilkanülen), kann dieser diagnostische Treffer mit der Porozephalose bei humaner viszeraler Pentastomiasis deiner Reputation nur dienlich sein. Und weil dieser Helminth bei uns bestimmt unabdingbar wichtig zu kennen ist (genaue Daten zum Verzehr von rohem Schlangenfleisch in Österreich fehlen tragischerweise), hat es Armillifer armillatus ganz eindeutig verdient, Wurm der Woche zu werden. Daher hier kurz die hard facts: 

Eigentlich mag Armi gar keine Menschen. Während er in Schlangen eine beachtliche Größe von 14 cm (das ist wirklich groß) erreichen kann, klappt das beim Menschen als Fehlwirt nur sehr eingeschränkt. Beim Verzehr von mit Eiern kontaminierten Speisen gelangen diese zwar in den Dünndarm, wo der Nachwuchs im Larvenstadium auch frisch fröhlich schlüpft und von dort aus voller Hoffnungen, Träume und Ziele auf große Besiedelungstour verschiedener Organe losstartet, dort angekommen wartet jedoch unausweichlich nur der kalte, grausame Tod auf ihn. Beerdigt in verkalkenden Granulomen, kann man so in viszeralen Massengräbern den armen Schlingeln nur noch radiologisch die letzte Ehre erweisen. Und dennoch kann er uns allen aus seiner hepatischen letzten Ruhestätte heraus noch auf der Metaebene eine wichtige Lektion über die Vergänglichkeit allen Lebens, der Wichtigkeit der Wahl des richtigen Umfelds sowie der Notwendigkeit des Verzichts auf den Verzehr von Schlangenkot erteilen. Da man therapeutisch nur symptomatisch interveniert, könnte Armi nach Infektion somit eventuell wortwörtlich für immer einen Platz in unseren Herzen haben (oder Leber, Milz, Niere…). Das qualifiziert ihn somit nicht nur für den vergänglichen Ruhm als Wurm der Woche – nein – sondern sogar als Wurm des Lebens. Und das ist doch wunderschön. 

Johannes

Johannes

Redakteur