Tabuthema Pädophilie
Wie würdest du anstelle des fragenden Elternteils auf diese Antwort reagieren? Dankbar, dass dein Nachbar transparent und verantwortungsbewusst mit seiner paraphilen Störung umgeht? Ängstlich, verunsichert, ablehnend, weil du plötzlich um die Sicherheit deines Kindes besorgt bist?
Mein Ziel mit diesem Artikel ist es, von den weit verbreiteten Reaktionen zum Thema Pädophilie, wie z.B. „Ih ist ja eklig“ oder „Die gehören alle weggesperrt“ und Schlimmerem zu einem differenzierteren Standpunkt zu verhelfen und die Opfer-, aber auch die Täterrolle zu sehen.
Bei Pädophilie handelt es sich um eine sehr heikle und sensible Thematik. Ich greife sie dennoch auf, da große Wissenslücken sowie soziale Ausgrenzung von Betroffenen dieses Feld dominieren. Ein großes Problem hierbei ist, dass verschiedene Begrifflichkeiten miteinander vermischt und gleichgesetzt werden, wie z.B. sexueller Kindesmissbrauch und Pädophilie.
Bei Pädophilie handelt es sich um eine Störung der Sexualpräferenz, die sich in einer Fixierung auf Kinder ausdrückt. Bei sexuellem Kindesmissbrauch handelt es sich um „jede sexuelle Handlung, die an Mädchen und Jungen gegen ihren Willen vorgenommen wird oder der sie aufgrund körperlicher, seelischer, geistiger oder sprachlicher Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen können.“ Dieser führt zu massivsten körperlichen sowie seelischen und traumatischen Schäden bei den betroffenen Kindern, die oft ihr gesamtes Leben
darunter leiden müssen.
Neben sexuellen Präferenzstörungen können relevante Ursachen für das Begehen von Sexualstraftaten das Ausnutzen von Macht und Autoritätspositionen sein oder der Mangel an altersmäßig legalen Sexualpartner:innen.
Im Jahr 2022 kam es in Deutschland zu 17.437 Fällen von sexuellem Kindesmissbrauch, das entspricht 48 betroffenen Kindern pro Tag.
In Österreich wurden im gleichen Jahr rund 2.060 kinderpornografische Fälle angezeigt. Dies sind jedoch nur die Zahlen aus dem sogenannten Hellfeld. Die Dunkelziffer sei mutmaßlich wesentlich höher. Man geht davon aus, dass rund die Hälfte der Täter:innen, welche überwiegend männlich sind, nicht pädophil sind, sondern aus den o.g. anderen Gründen diese Taten begehen. Genau das macht die Prävention besonders schwierig.
Doch wie genau entsteht die pädophile Form der paraphilen Präferenzstörung? Genau verstanden ist die Entstehung von sexuellen Präferenzen nicht. In der Literatur gibt es jedoch einen Konsens darüber, dass dies aus einem Zusammenspiel von biologischen Einflussfaktoren (genetische, epigenetische und hormonelle) sowie soziokulturellen Verstärkern und individuellen Erfahrungen hervorgeht. 2012 wurde eine MRT-Studie durchgeführt, bei welcher Menschen mit und ohne Pädophilie Bilder von Erwachsenen und Kindern gezeigt wurde. Es zeigte sich, dass bei den verschiedenen Personengruppen unterschiedliche Hirnregionen aktiv waren. Da es sich jedoch um Grundlagenforschung handelt, kann dies nicht zur Diagnostik verwendet werden. Professor Beier, Sexualmediziner der Charité Berlin, berichtet, dass ausnahmslos alle seiner Patient:innen mit dieser paraphilen Störung als Kind selbst sexuellen Missbrauch erfuhren. Darüber hinaus berichtet er, dass Betroffene, die ihn aufsuchen, unter einem immens hohen Leidensdruck stehen, welcher bis hin zur Suizidalität geht. In der Regel seien sich diese Menschen sehr bewusst, dass sie niemals ihre Sexualität ausleben können, ohne dabei massiven Schaden anzurichten.
Darüber hinaus sind diese Personen, selbst wenn sie verantwortungsbewusst damit umgehen, bei Öffentlichwerden ihrer Präferenzstörung hochgradig stigmatisiert, was zu sozialer Isolation, Depressionen und mehr führen kann.
Ist Pädophilie heilbar und welche Therapiemöglichkeiten gibt es? Auf die erste Frage kann ziemlich klar mit einem „Nein“ geantwortet werden. Dass eine Änderung der sexuellen Präferenz nicht möglich ist, könnte unterschiedliche Ursachen haben: Unter anderem, dass die Entstehung möglicherweise bereits im frühen Kindesalter beginnt, dass potenzielle biologische Faktoren unbeeinflussbar sind oder eventuell auch hirnorganische Manifestationen im beginnenden Pubertätsalter hierbei eine Rolle spielen. Gemeint mit Letzterem ist, dass mit Beginn der Adoleszenz in der Regel auch das Interesse an Masturbation beginnt, was zu einer Ausschüttung von Glückshormonen führt. Geschieht dies über Jahre hinweg im Zusammenhang mit bestimmten Fantasien, so werden diese mutmaßlich immer weiter verstärkt und eine Umkehr dieser Entwicklung sei unmöglich, so Professor Beier.
Die Therapiemöglichkeiten bestehen aus einer langfristigen Psychotherapie, einer Verhaltensschulung zum Erlernen von Strategien und Umgang mit Alltagssituationen und eine medikamentöse Therapie zur Reduktion des Testosteronspiegels mit dem Ziel der Triebreduktion. Darüber hinaus werden häufig bestehende Komorbiditäten wie Depression, Substanzabhängigkeit oder -missbrauch mittherapiert.
In den letzten Jahren haben sich einige Präventionsprogramme etabliert. In Österreich ist seit 1984 die Männerberatung aktiv und thematisiert auch Tabuthemen wie Pädophilie mit dem primären Ziel des Opferschutzes. Mit dem Projekt „Nicht Täter Werden“, welches in Zukunft die Mitgliedschaft im deutschen Pendant „Kein Täter werden“ sowie die Erfüllung internationaler
Standards in der Diagnostik und Behandlung anstrebt, bekommen Männer die
Möglichkeit, sich anonym Hilfe zu holen. Dieses Angebot beinhaltet eine Psychoedukation, damit die Betroffenen ihre eigenen Sehnsüchte und deren Folgen verstehen und infolgedessen den Ausstieg aus potenzieller virtueller oder persönlicher Solidarisierung mit Leidensgenossen schaffen und somit Grenzen gegenüber Kindern wahren können. Die Kosten für die Therapie werden
teilweise vom Klienten selbst übernommen. Eine Kostenübernahme durch den Bund und private Spender:innen ist angedacht.
In dem deutschen Projekt „Kein Täter werden“ werden die Kosten bereits vollständig übernommen. Hier wird ein individueller Therapieplan entwickelt, die sexuellen Vorlieben identifiziert, fremdgefährdende Entwicklungen rechtzeitig entdeckt und proaktiv Schritte und Unterstützung eingeleitet. Das Hauptziel ist – wie bereits erwähnt – der Opferschutz, aber auch die Lebenszufriedenheit der Betroffenen soll verbessert werden. Dieses Projekt existiert sowohl für Erwachsene als auch für Minderjährige, die entsprechende Neigungen an sich bemerken. Aufmerksam gemacht wird auf dieses Projekt unter anderem durch geschaltete Videoclips im Internet. Wenn Menschen online nach kinderpornografischen Inhalten suchen, stoßen sie auf eine vermeintlich passende Seite und werden dann direkt auf die Internetseite von „Kein Täter Werden“ weitergeleitet.
Insgesamt bleibt der Eindruck, dass dieses Tabuthema im Schatten gehalten wird. Es existieren Präventions- und Unterstützungsprogramme für Betroffene sowie auch Opferschutzgruppen. Dennoch belegen die Zahlen an Taten mit schmerzhafter Deutlichkeit, dass dies noch nicht ausreicht. Mehr Aufklärung und Wissen in der Gesellschaft und für Betroffene wäre ein möglicher Ansatzpunkt. Stigmatisierung und gesellschaftliche Ausgrenzung gegenüber pädophilen, jedoch verantwortungsbewussten Menschen aufgrund von massiven Wissenslücken und undifferenzierter Betrachtungsweise sollte keine Option im Umgang mit dieser Thematik sein.
Quellen (Bilder):
- Hauptbild: Medicus-Bilderredaktion
Elisa Dreißig
Redakteur