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The Godfather of Sono-Anatomy: Das Abschiedsgespräch mit einem Meister seines Faches 

11. Juli 2024
Dieses exklusive Interview bietet einen privaten Einblick in das Leben des renommierten Innsbrucker Anatomen Prof. Moriggl, bevor er sich von der MUI verabschiedet und damit auch von seiner langen Karriere als unser Sezierkursprofessor.
von Ana Carolina Mairhofer

Über Jahrzehnte hinweg widmete Prof. Bernhard Moriggl seine Karriere der Forschung und der Lehre, nicht nur am Anatomischen Institut Innsbruck, nein, diese Karriere geht auch erfolgreich über Österreich hinaus – Leicester, Toronto, Miami, … you name it, he’s claimed it – a real walking encyclopedia of anatomy.  

Als Student an der MUI konnte er bereits durch sein Engagement und seine exzellente Arbeit in der Anatomie und Sonographie herausstechen, was der Anfang seiner langen und internationalen Karriere werden sollte. Die Resultate seiner außerordentlichen Leistungen sind weit über 100 Publikationen, zu denen sogar ganze Bücher im Springer Verlag zählen, aus denen oft und gerne zitiert wird. 2008 wurde Prof. Moriggl einer der sieben Mitbegründer der Special Interest Group (SIG) US in Pain Medicine der American Society of Regional Anesthesia and Pain Medicine und war dazu vier bis fünf Jahre deren Educational Director. Der Wunsch, stets innovativ zu denken und die Medizin in Bezug auf die Arbeit am menschlichen Körper voranzubringen, machte ihn weltweit zum Ur-Vater der Nervensonographie. Ab Januar 2015 war Prof. Moriggl eine Zeit lang auch Vorsitzender des Forschungsausschusses der World Academy of Pain Medicine Ultrasonography (WAPMU). Das alles sind unter anderem Gründe, warum Prof. Moriggl vom World Institute of Pain den diesjährigen Lifetime Achievement Award for excellence in the field of Pain Medicine Ultrasound verliehen bekommen hat. Eine Woche bevor dieses Interview stattfand, flog er nach Leicester (UK), um das letzte Mal beruflich auf internationalem Boden unterwegs zu sein. Wie es ihm dennoch gelang, als Professor an der MUI seinen Schützlingen über die Schultern zu schauen und ihnen wirklich etwas beizubringen, grenzt schon an ein außergewöhnliches Talent für Multitasking.  

Nun aber, in diesem besonderen Jahr, in dem die Rolling Stones wieder auf Tour gehen, zieht sich dieser Mann, der (in)offiziell den Titel „Godfather of Sono-Anatomy“ trägt, in seinen wohlverdienten Ruhestand, von seiner Tätigkeit an der MUI, zurück.  
Anlässlich dieses Ereignisses hat der Medicus die einzigartige Gelegenheit wahrgenommen, um mit A. Univ. Prof. Dr. med. Univ. Bernhard Moriggl über so einiges zu reflektieren, bevor unser Prof Mo als eine Legende in die Annalen der Institution eingehen und in den Erzählungen der Studierenden an der MUI weiterleben wird. 

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Prof. Bernhard Moriggl bei der Verleihung des Lifetime Achievement Award.
  © Privat. 

Herr Professor, wir spulen einmal zurück zu 19-Hundert-Prof-Mo-wird-ersteinmal-Student. Wie kam Ihr Entschluss zum Medizinstudium?  

Grundsätzlich durch Beobachtung meines Vaters, der Jahrzehnte lang praktischer Arzt war. Sowohl im Lechtal [Tirol] als auch im Tannheimer Tal [Tirol] –  alleine! Kein anderer Arzt. Ich bin sehr oft auf Visite mitgefahren und, und, und. Der Entschluss Medizin zu studieren war seit ewigen Zeiten dann klar. 

Wir hören immer nur von überfüllten Hörsälen, Aussortierungen durch schwere Prüfungen und der Horror vieler; Lernen ohne Internet. Wie haben Sie den Studienaufbau, den Sie erlebt haben, im Vergleich zu dem Gegenwärtigen so im Kopf.  

Also, wir waren damals viel selbstständiger. Das heißt, uns hat niemand vorgeschrieben, wann man was machen hat müssen. Es war einfach wichtig zum Tag X das Rigorosum in (irgend)einem Fach abzulegen. Wir waren da viel flexibler. Das war wirklich universitär und nicht verschult mit „Sie haben am __ um __ im Praktikum zu erscheinen.“ Das haben wir natürlich schon machen müssen, Praktika nachweisen, ist klar, aber ganz, ganz selbstständig. Meinem Empfinden nach extrem angenehm, aber nicht weniger herausfordernd. 

Als einer der stressigsten Zeiten an der MUI ist ja der SeKu vorprogrammiert. Erinnern Sie sich noch an Ihren eigenen Sezierkurs; ging der erste Hautschnitt glatt über die Bühne oder waren auch Sie einst, vor Ihrem eigenen Professor, nervös? 

Überhaupt nicht! Ich erinnere mich noch sehr gut an meinen Präparierkurs. Es war im Saal Mitte beim Prof. Poisel, leider schon verstorben. Wir waren damals zu zehnt an einem Tisch und wir waren der studierendenreichste Jahrgang aller Zeiten – 753 Inskribierte. Und ich habe an diesem Tisch, ich weiß sogar noch wo im Saal Mitte, ganz am Anfang schon das Kommando übernommen – habe also alle anderen auch mit unterrichtet (lacht). Das war mir damals schon ein Anliegen, mein Wissen weiterzugeben. 

Um weiter über den Weg zum Anatomen zu sprechen; wie prägte die Anatomie während des Studiums Ihr Leben? Wollten Sie gleich nach dem Sezierkurs dann Tutor werden und daraufhin direkt den Facharzt ablegen oder geschah es über Umwege? Wie wurden Sie zu unserem Prof Mo? 

Also von Beginn an war für mich die Anatomie absolut faszinierend und ich war mir zum Beispiel sicher, dass ich das Rigorosum wenn dann nur mit Auszeichnung abschließe. Ganz am Anfang war noch nicht die Idee da, Anatom zu werden. Aber das Fach und die Morphologie (vor allem) und auch mikroskopische Anatomie hat mich immer schon interessiert. Wahrscheinlich hat sich das dadurch dann so ergeben. Denn unsere Wartezeit nach Abschluss des Studiums für einen Facharzt war extrem lang. Ich hatte mich zum Beispiel für die Neurochirurgie beworben. Da war die Wartezeit zweieinhalb Jahre. Die habe ich überbrückt, weil ich [in der Anatomie] ein Angebot bekommen habe, da ich hier bereits gearbeitet habe und da bin ich eben hängen geblieben. Das war sozusagen die Geschichte kurzgefasst. 

Und wie kristallisierte sich heraus, dass die Nervensonographie ein Bereich ist, der Sie nicht nur interessierte, sondern in dem Sie auch Ihre Karriere ausweiteten? 

Angefangen habe ich mit der Sonographie `86 und bin dann mit einem der Ur-Väter dieses [medizinischen] bildgebenden Verfahrens, insbesondere im Bereich des Bewegungsapparats, zusammengekommen. Sonographie wurde nicht in den USA erfunden, sondern in Österreich! Ich habe von denjenigen, die die Nervensonographie quasi erfunden haben – ganz genau der Stephan Kapral – eine Einladung nach Wien bekommen. Wissend, dass ich mich in der Sonographie des Bewegungsapparates gut auskenne, sollte ich einen Vortrag für ihn halten, wie man Nerven und Sehnen voneinander unterscheiden kann, weil die [in der Sonographie] sehr ähnlich ausschauen und manchmal zu Verwirrungen führen. Mit dem war dann mein Einstieg in die Anästhesie und später Schmerztherapie und dann in die diagnostische Nanosonographie und, und, und.  

Prof. Bernhard Moriggl bei seinen Live Auftritten
© Privat. 

Worin sehen Sie, als Professor und Saalleiter eines Sezierkurses, Ihre Aufgabe den Studierenden gegenüber?  

Das habe ich jeden Tag bewiesen; das ist, die Leute zu betreuen und anwesend zu sein! Sprich nicht nur mein Wissen weiterzugeben, sondern auch die praktischen Fähigkeiten. Nicht für die Leute präparieren, aber ihnen sozusagen ein Trittbrett geben, wie sie es dann am besten selbst machen können. 

Aber (und verzeihen Sie meine Direktheit) wie wurden Sie nicht verrückt, Studierende Jahr für Jahr auf das gleiche hinzuweisen; nicht die Rektusscheide eröffnen, nicht die Aorta slicen, nicht den N. ischiadicus durchtrennen – nur um herauszufinden, dass es dann doch immer welche gab, die „Scheiße!!! Hat wer Kleber?????“ geflüstert haben. 

Mein Gott, wenn man gerne unterrichtet, vor allem auch praktische Anleitungen gibt, ist jeder Sezierkurs neu. Es sind neue Student:innen, es sind neue Voraussetzungen, anderes Curriculum und – der menschliche Körper ist auch nach 500 Mal sezieren interessant! Selbst für wen, der das so oft gemacht hat wie ich. (lächelt) 

Heute, nach 38 Jahren als Professor der Anatomie, gehen Sie mit Ende dieses Semesters erfolgreich in Rente. *Saal Mitte klopft lange mit der Pinzette* Welche Herausforderungen haben Sie in Ihrer langen Karriere als Anatom erlebt?  

Phu… Also Herausforderungen waren sicher die Habilitation, weil das extrem aufwendig ist, damals erst recht und dannder Professor Platzer noch. Ich war übrigens der Letzte, der unter ihm habilitiert hat. Man musste eine eigenständige Arbeit ablegen, und zwar von A bis Z. Was heutzutage auch nicht mehr der Fall ist, durch diese Sammelarbeiten. Es hat sein müssen, ein neues Thema selbst zu bearbeiten und, und, und. Das war mehr als man sich vorstellen kann. Ein irrsinniger Aufwand, aber schön! Und es war auch Bewegungsapparat in dem Fall; Sonographie der Schulter. Und dann, ja, als Anatom nicht nur Lehre, sondern auch Wissenschaft zu machen. Die Wissenschaft in der Anatomie ist etwas unterrepräsentiert gewesen, weil man angenommen hat, man weiß eh schon alles und das ist einfach Unsinn. Die Anatomie hat sich genauso weiterentwickelt wie viele andere Fächer. Neue chirurgische Methoden haben neue anatomische Zugänge erfordert und mit dem haben wir uns beschäftigt. Das heißt, wir haben von Beginn an die Doppelbelastung gehabt, Wissenschaft und Lehre zu machen. Und bei mir, das war die besondere Herausforderung, habe ich nebenher die ganze Sonographie gemacht, auch praktisch und auch am Patienten. Im Endeffekt habe ich drei Jobs gehabt. (lacht) 

Hidden Facts Moriggl

Wir würden doch gerne die Gelegenheit nehmen um über jemand bestimmten mit Ihnen zu reden. Er modernisierte das Institutsgebäude, gestaltete den Hörsaal durch audiovisuelle Ausrüstung neu, fügte als erster ein semiprofessionelles Videostudio ein und um die Liste nicht noch länger zu machen, wurden seine Lehrbücher mit ihm International bekannt. Die Ideen von Prof. Platzer waren zukunftsweisend und er ein Pionier in seinem Schaffen; das alles und noch mehr finden all jene im Internet, die Prof. Platzer nicht selbst erleben konnten. Sie hatten aber die Ehre, Ihrem Mentor sehr lange an der Seite stehen zu dürfen.  

Erzählen Sie uns; wie war die Anatomie früher unter seiner Leitung? 

Die Anatomie Innsbruck unter dem Professor Platzer war seit jeher bekannt als klinisch orientiert und ausgerichtet. Wir haben von Beginn an nie was anderes gemacht, als für und mit der Klinik zu arbeiten – das war einmal sicher das Besondere. Er war irrsinnig gut vernetzt mit allen möglichen, auch klinischen Fächern und hat Gott und die Welt gekannt. Für die Universität, nicht nur für die Anatomie extrem, extrem wichtig. Er war nicht nur Dekan, er hat auch die Großgeräte Kommission in Wien geleitet, das heißt vieles von dem, was an Geräten jetzt noch in Innsbruck an den Kliniken steht, das hat er quasi ausverhandelt. Unter anderem hat er mich zum Ultraschall gebracht, weil er der erste war, weltweit, der an einem anatomischen Institut ein Ultraschallgerät zur Verfügung gehabt hat. Er hat mich gefragt, ob ich das nicht mal machen will, und ich dacht mir wieso nicht. In der Gerüchteküche brodelt, er war unangenehm etc. Wenn man aber Engagement gezeigt hat, war er mit Abstand der beste Chef, den man sich vorstellen kann. Er hat sehr früh erkannt, wen er wie fördert. Er hat gesehen, ich mach was, ich mach’s gut und da hat er mich früh frei gelassen, weit vor der Habilitation und sowas ist genial. Also er war auch schuld unter Anführungszeichen an meiner Karriere als Sonographeur. Er war ein genialer Mensch, rundum aktiv und nebenbei einer der größten Anatomen, die je existiert haben. 

Eine Innsbrucker Zahnärztin erinnert sich noch immer an die Situation, eine Anatomie Prüfung bei Prof. Platzer persönlich nicht bestanden zu haben, weil sie einen bestimmten Handwurzelknochen beim damals obligatorischen „blinden Ertasten“ nicht richtig benennen konnte. Wie viel ist an solchen Geschichten dran und wie sieht für Sie eine sinnvolle Prüfungssituation im Sezierkurs aus?  

Das sind alles Gerüchte. Ich weiß nicht, wo die herkommen keine Ahnung (lacht). Beim Platzer hat’s das nicht gegeben. Was wahr ist, ist, dass man natürlich damals die Osteologie sehr gut beherrschen hat müssen, also ganz genau wissen, welcher Handwurzelknochen welche Seite etc., aber nicht blind ertasten. Die sinnvolle Prüfung ist dann, wenn sie praktisch orientiert ist. Ich habe zum Beispiel als Prüfer bei Rigorosen auch den Student:innen vorher immer gesagt, lernt’s doch bitte nicht alle 15 Äste vom N. vagus auswendig oder welcher Ast von welchem Ast kommt. Das bringt euch nichts und ist vollkommen sinnlos, sondern ihr müsst wissen, wozu und welche die wichtigen sind. Also klinisch-angewandte Anatomie, das macht’s aus. 

Alle sagen „Der Platzer [Taschenatlas] ist die Bibel im SeKu“. Gibt es Unvollständigkeiten oder generell etwas im Platzer, das Sie hinzufügen oder verändern würden?  

Im Band 1 ist die Topographie ergänzt worden durch den Silbernen Atlas, den es leider nicht mehr gibt, den haben die Studierenden zurzeit glaub ich überhaupt nicht mehr. Und den haben wir vor, also ich nicht mehr, aber Prof. Konschake, wieder mal neu aufzulegen, weil der wäre extrem hilfreich. Ansonsten ist das Buch [der Platzer] nicht umsonst „die Bibel“ und so oft aufgelegt und in so vielen Sprachen übersetzt.  

LIVE Rolling Stones IMST

Prof. Bernhard Moriggls Schnappschuss der Rolling Stones bei einem Konzert in Imst.
© Professor Dr. Bernhard Moriggl

Sie haben bereits das Anatomische Institut unter der Leitung von 3 oder 4 verschiedenen Direktor:innen miterlebt. Wie hat sich die Anatomie Innsbruck als Lehrstätte während Ihrer universitären und beruflichen Laufbahn entwickelt?  

Also grundsätzlich hat sich die Ausrichtung im Sinne von klinisch orientierter Anatomie nicht geändert. Was sich geändert hat, sind die Curricula und dadurch haben wir uns ständig anpassen müssen, das wurde aber immer ziemlich souverän gemeistert, wurst wie viele Student:innen. Leider ist das zum Teil dann auch in die Gegenrichtung gegangen, wie wir das vor kurzem erlebt haben und das ist auch kein Geheimnis. Diese Umstellung, mit großem Kurs zuerst und dann Bewegungsapparat, das ist schwachsinnig. Wenn du zum Beispiel Kajak fahren willst am Fluss, dann lernst du doch auch zuerst schwimmen, oder? (lacht) (Medicus lacht mit) 

Tja, den [großen] Sezierkurs in das erste Semester zu packen sehen doch viele als Fehlgriff statt Innovation, deshalb erzählen Sie mal, wann fand Ihr Sezierkurs damals statt? 

Jetzt pass auf, jetzt muss ich nachdenken, wir haben ja zwei Kurse gehabt wie jetzt auch noch, aber zuerst war Bewegungsapparat und das war nur möglich mit Bestehen des Knochenkolloquiums und bei mir in meinem Jahr nur mit Note sehr gut oder gut. Das heißt, ab befriedigend waren die Leute nicht mehr beim Präparierkurs dabei. Das war im ersten Semester, nach dem Knochenkolloquium, nach Weihnachten. Dann im dritten Semester der große. Wir haben aber das Rigorosum erst im fünften Semester machen dürfen. Also wir waren quasi fünf Semester mit der Anatomie beschäftigt.  

Dazu passend eben meine nächste Frage. Da die praktische Anatomie im 1. Studienjahr laut Curriculum abgeschlossen wird und im restlichen Verlauf des Studiums, trotz ihrer Wichtigkeit, eher eine nebensächliche Rolle bekommt, was läge Ihnen am Herzen, dass die Studierenden aus diesen zwei Praktika mitnehmen?  

Was der Arzt und die Ärztin auf jeden Fall am meisten brauchen, ist die Kenntnis der topografischen Anatomie, egal was sie machen. Ich meine, wenn Sie jetzt im Labor sitzen, wahrscheinlich nicht, aber ansonsten ist es das Um und Auf. Zum Beispiel gibt’s in der Anästhesie den Spruch; Anästhesie ist nix anderes als angewandte Anatomie –das haben viele andere Fachbereiche eben auch. Problem ist, dass es [der SeKu] zu früh stattfindet und die Leute dann viel vergessen. Was wir übrigens, da sind wir wieder beim Professor Platzer, von Anbeginn an versucht haben zu ändern; für alle klinischen Fächer die Anatomie noch einmal einzuplanen; in der Gyn, in der Chirurgie und so weiter. Das ist immer am Widerstand der klinischen Kolleg:innen gescheitert. Wir hätten die Idee gehabt eine Anatomie zu machen mit Grundbasis – und alles andere fachbezogen. Aber das hat sich nie durchgesetzt, leider, leider, weil das wäre das Ideale. 

Als Facharzt kann man Sie das Fragen; wie sehen Sie die Zukunft des Sezierkurses und seine Rolle in der medizinischen Ausbildung. Sind und bleiben Präparierübungen für Studierende an der Leiche noch zeitgemäß?  

Unbedingt! Ohne dem geht gar nichts und das kann ich aus gutem Gewissen und aus jahrzehntelanger Erfahrung sagen, weil ich auf der ganzen Welt unterwegs war! Die Universitäten, die das nicht haben oder nur mit virtuellen Seziertischen arbeiten, die haben ein Problem, weil die fertig Studierten einfach viel zu wenig praktische Ausbildung gehabt haben. Die Kostenfrage ist sicherlich Mitgrund, warum es viele [Unis] aufgegeben haben – natürlich ist es teuer, aber es ist nicht zu ersetzen. Aber ich bin mir sicher, in Österreich zumindest, wird’s das in 100 Jahren noch geben.  

ESRA Moriggl

Prof. Bernhard Moriggl beim European Society of Regional Anaesthesia and Pain Therapy (ESRA) Workshop
© Privat. 

Während wir dieses Interview führen, findet im Anatomie Gebäude das Wahlfach Nervensonographie statt, das von Ihnen und Fr. Dr. Honis geleitet wird. Warum ist es so wichtig für zukünftige Ärzt:innen, sich näher mit der Rolle von Ultrasonographie in der Diagnose, Überwachung oder Behandlung von Patient:innen, in der Schmerzmedizin, auseinander zu setzen? 

Da müssen wir jetzt weit zurückgehen, in die Geschichte der Sonografie. Zuerst hat die Sonographie am Herzen Einzug gehalten, dann Gynäkologie und da hat jeder sofort gemerkt ohne dem geht’s nicht. Schnelle Untersuchung, keine Strahlenbelastung. Das ist das blinkende Verfahren schlecht hin. Im Speziellen die Nerven, das hat sich dann mit neueren Geräten entwickelt. Diagnostik damit ist zum Beispiel wesentlich besser als MRI und wesentlich kostengünstiger! Auch bei der invasiven Schmerztherapie unersetzlich, weil man zielgerichtet an den Punkt des Geschehens kommt und viel weniger Komplikationen dadurch hat. Natürlich etwas mehr Untersucher:innen-abhängig und genau das erreicht man mit Training und Ausbildung.  

 

Mohamed El-Fatih Post und Moriggl

Schmerz ist aber angesichts der Ausprägungen und vielfältigen Ursachen doch sehr individuell. Was kann man sich unter Pain Management Training vorstellen und wie kann es trotz des vielseitigen Charakters von „Schmerz“ signifikante Einflüsse auf eine allgemeine Patientenversorgung haben? 

Man ist sich mittlerweile einig, dass das nur multimodal geht. Das heißt, einen Schmerz kann man nicht mit Ultraschall-gezielter Injektion und einer Nadel allein behandeln. Nur wenn man nebenher alles andere ausschöpft. Da arbeiten drei – vier Disziplinen zusammen. Sonst ist das stümperhaft und macht keinen Sinn. Das ist jedem bewusst, der schmerztherapeutisch unterwegs ist. 

Ein sensibles Thema, das wir doch ansprechen möchten, da es uns alle, die diesen Berufsweg auswählen, betrifft oder betreffen wird. Sie haben schon viele Tote und deren Todesgründe gesehen. Was ist Ihre Meinung dazu, dass die Berufsgruppe mit der höchsten Selbstmordrate die der Mediziner:innen ist? 

Vielleicht die enorme Belastung. Ziemlich egal in welchem Fach man tätig ist. Die wird übrigens unterschätzt von der Bevölkerung, die wissen oft gar nicht, was Ärzte und Ärztinnen wirklich leisten.   

Tja, was Freudiges darauf wird den Leser:innen bestimmt gut tun – Explain the Picture!
Wir zeigen Ihnen ein Bild, das wir mit ein bisschen Graben gefunden haben. Können Sie uns erklären, um welche Aufnahme es sich handelt und was hier los war? 

(lacht) Das war in einer der größten Städte im Südosten Indiens; Chennai. Da war einer der größten internationalen Kongresse der Schmerztherapie mit bildgebenden Verfahren, speziell Ultraschall. Dort habe ich diesen Lifetime Achievement Award bekommen und wurde als Sultan sozusagen verkleidet und das sind die Organisatoren und Mentoren dieses Kongresses, die sich das ausgedacht haben. Ich war sehr überrascht, weil das an einem Samstag war, glaube ich und es hat geheißen, das Programm sei fertig und ich wollte schon ins Hotelzimmer gehen. Da hieß es aber na-na ich muss dableiben und die haben eine eigene Zeremonie für mich gemacht. Ich hatte keine Ahnung, worum es da geht, und derweil war es für mich. Eine der wenigen Situationen in meinem Leben, wo ich bei der Ansprache fast in Verlegenheit gekommen bin, nicht zu wissen, was ich sagen soll. Das passiert mir sonst sehr selten. 

Explain the Picture Moriggl

Prof. „Sultan“ Bernhard Moriggl in Chennai, Indien.
© Privat. 

Würden Sie im nächsten Leben [vorausgesetzt es gibt eines und Sie haben eine Wahl] nochmals Medizin studieren?  

Auf jeden Fall. 

Würden Sie nochmals Anatom werden? 

Und zwar sofort. 

“Geistige Trägheit ist noch viel schlimmer als leibliche”, heißt es im Buch „Die Anatomie der Melancholie“. Deshalb die Frage; worauf freuen Sie sich besonders in Ihrer Pensions-und-keine-Ersties-zerfetzen-ihre-Region-und-ich-muss-sie-benoten-Zeit?  

Das noch ausgedehnter zu tun, wozu ich wenig Zeit hatte; meine Hobbys, unter anderem Natur, Lyrik, Gedichte schreiben, Zeichnen. Also abseits der Medizin, aber das heißt nicht, dass ich mich nicht mehr für Medizin interessiere. Ich werde beobachten, aber nicht mehr tätig sein. Was ich schon weiterhin machen werde, ist meine Kooperation mit MED-EL als Berater. 

Prof. Bernhard Moriggl bei verschiedensten Sezierkurs-Events.
© Privat. 

Um weiter über Erinnerungen zu sprechen; welche werden Ihnen besonders im Gedächtnis bleiben, wenn Sie an Ihre lange Karriere an der Medizinischen Universität Innsbruck zurückdenken? 

Unter anderem mein eigener Sezierkurs, das war schon was Besonderes. Die vielen Kontakte innerhalb der Studentenschaft. Dann die Ausbildung unterm Platzer; die Tatsache, dass ich unter ihm habilitieren hab’ können. Zufall oder Schicksal ich habe quasi am selben Tag habilitiert, wie er emeritiert worden ist. Und dann die Karriere neben der Anatomie. Die sogenannte Sono-Anatomie, die in aller Munde ist, habe ich erfunden. Das sind schon Erlebnisse. 

Das letzte Wort an die MUI soll Ihnen gehören. Was würden Sie den Studierenden und denen darüber hinaus, noch mitgeben wollen? 

Hm. Etwas, das ich in meiner langen Karriere gelernt habe, ist: die besten Ärzte und Ärztinnen werden die, die selber Engagement zeigen – die mehr tun als gefordert ist. Das heißt nicht, dass man ständig nur arbeitet und sein Leben vergisst, sondern Eigeninteresse entwickelt, fragt, nachfragt und nicht alles von A bis Z dem Curriculum überlässt und das wars dann. Was voraussetzt, dass es auch Lehrer und Lehrerinnen gibt, die das fördern. Das ist auch ein Teil der Belastung in dem Job, dass man mehr tun muss als der Rest der Bevölkerung und das teils schon vor dem Erreichen des akademischen Grades.  



Lieber Professor Mo,
 

Sie sind bei den Student:innen dafür bekannt, sehr streng, aber auch sehr fair zu sein. „Jemand, von dem man viel lernen kann“, erzählen die Höhersemestrigen denen, die gerade den Sezierkurs bei Ihnen beginnen. „Was macht der Wind, wenn er nicht weht?“ war Ihre Frage an uns am allerersten Tag des großen Sezierkurses. „Er bereitet sich auf den Sturm vor“, war auch Ihre Antwort. Wenn man Sie erlebt und reden hört, merkt man, dass in Ihnen ein ebenso großer Philosoph wie Anatom steckt. Ihre Leidenschaft für Literatur und Musik hat Saal Mitte erfolgreich durch unsere ersten und Ihren letzten Sezierwochen sowie die Bugatti-Abende begleitet. Ihre Leistungen in der Forschung und Sonographie haben international viele Menschen begeistert. Rock and Roll will never die, und so wird auch unsere Erinnerung an unseren eigenen Sezierkurs immer lebendig bleiben – verbunden mit unserem eigenen Saal, unabhängig von West, Mitte oder Ost. Wir bedanken uns bei Ihnen für dieses letzte Jahr gemeinsam mit Frau Dr. Honis, an das wir immer wieder zurückdenken werden, so wie Sie ab und an noch an Ihren eigenen Sezierkurs denken. Diese Zeit gehört für immer zu uns; sie bleibt und trägt Frucht.  

Moriggl Seku Abschluss vor Anatomie

Prof. Bernhard Moriggl und Dr. Honis mit dem Sezierkurs-Jahrgang 2023/24 vor der Anatomie Innsbruck.
© Ana Carolina Mairhofer

Liebe Leser:innen, liebe Mitstudierende, 

Hier möchten wir uns einen Moment Zeit nehmen, um Thomas Lechner, dem Inhaber des Bugatti, zu danken. Nicht nur ermöglicht er den Studierenden und Leidenden des Sezierkurses eine großartige Zeit nach den R&S’s und D&A’s. Leichwendfeier, Gruppenwendfeier, Weihnachtsfeier, Sezierkursabschlussfeier groß oder klein – ja, Thomas hat mit vielen von uns mehr gefeiert als manche Familienmitglieder unsere Geburtstage. Herrn Professor Mo war er stets ein treuer Zeitgenosse und vielleicht auch deshalb mit uns Partymäusen so geduldig, wie er eben war. 

Möge diese Tradition der Bugatti-Sezierkurs-Feiern noch lange weiterleben, und die Geschichten von unserem Professor Mo mit ihnen. 

Quellen: 
Ana

Ana

Redakteurin