
Schamanen, Ayahuasca und wie die ganze Welt geheilt werden will

Schamanen sind die Medizinmänner und –frauen vieler indigener Völker. Oftmals werden Schamanen mit Völkern des Amazonas in Südamerika assoziiert, aber die Heiler:innen kommen überall auf der Welt vor. Auch die Ureinwohner:innen von Sibirien, China, Afrika und Australien haben Schamanen. Das Wort selbst kommt aus der tungusischen Sprache (Sprachfamilie Nordchinas u. Russlands) und bedeutet so viel wie „Jemand, der weiß“.
Das Prinzip schamanischer Heilkunst und die Heilpflanze Ayahuasca
Nicht selten werden Schamanen auch als Geisterbeschwörer bezeichnet, da sie während den Ritualen den Bewusstseinszustand verändern, in Ekstase eintreten und eins mit der Natur und dem Universum werden. Als Eintrittskarte in die spirituelle Welt zählen Tabakgebrauch und die Verwendung von Rauschgiften. Auf diese Weise, heißt es, können sie in Kontakt mit Göttern treten und spüren das Leiden ihrer Patient:innen und vor allem die Quelle des Negativen im Körper. Die schamanische Heilkunst basiert auf dem Prinzip der Abstraktion: In Zeremonien und Ritualen wird dem kranken Körper alle negative Energie ausgesogen und auf diese Weise gereinigt und befreit.
Schamanismus und deren zugrundliegende Therapieform wird oft mit Psychotherapie verglichen. Beides ist nicht miteinander gleichzusetzen, doch Parallelen lassen sich feststellen. Es geht vor allem darum, die innere Motivation der Selbstheilung aufzubauen und das Selbstwertgefühl wieder herzustellen. Schamanischen Ritualen wird zudem oft eine große soziale Funktion zugeschrieben. Häufig sind nicht nur Heiler:in und Patient:in anwesend, sondern auch Angehörige oder der ganze Stamm. Durch das gemeinsame Trommeln und Tanzen in Trance wird eine Gruppendynamik geschaffen, die der/dem zu Heilenden hilft, seinen/ihren Platz in der Gesellschaft zu finden und wieder ein Zugehörigkeitsgefühl zu entwickeln.
Im Südamerikanischen Raum ist Ayahuasca das Wundermittel und Allheilmittel schlechthin. Andere Namen sind „Vine of the soul“ oder „Vine of the death“ (deutsch: Rebe der Seele). Der Name stammt aus der Sprache der Quechua und bedeutet im eigentlichen Sinne Liane der Geister/Toten/Ahnen. Die Indigones verwenden Ayahuasca seit mehr als 3000 Jahren in ihren Zeremonien.
Ayahuasca ist ein Pflanzentrank zusammengemischt aus der Rinde der Lianenart Banisteriopsis caapi und aus den Blättern des Psychotria viridis Strauches. Der Sud zählt zu den stärksten Psychedelika der Welt, der die Konsument:innen intensive Halluzinationen erleben lässt.

© lizenzfrei auf pixabay.de von fszalai
Die Wirkungsweise von Ayahuasca
Die Wirkung von Ayahuasca wird durch die im Viridis Strauch enthaltene Substanz N, N-Dimethyltryptamin, kurz DMT, ausgelöst. Oral eingenommen wird DMT normalerweise in der Leber direkt abgebaut, gelangt nicht ins Gehirn und ist unwirksam (= First-Pass Effekt). Doch die in Ayahuasca beigemischte Caapi Liane enthält ß-Carboline Alkaloide. Diese wirken als sogenannte Monoaminoxidase-Hemmer (MAO-Hemmer). MAO-Hemmer verhindern den Abbau von DMT im Magendarmtrakt und erlauben so dessen Wirkungsentfaltung.
Ayahuasca wird als Tee getrunken. Etwa 40 Minuten nach Einnahme setzt die Wirkung ein. Der Körper fängt an zu zittern, Verwirrtheit, Paranoia und Angst setzen ein. Diese erste Phase spitzt sich zu, bis intensives Übergeben und Durchfall einsetzen. Diese Folgen sind Nebenwirkungen des DMT Gebrauchs. Jedoch ist dieser Effekt von Schamanen gewünscht, denn sie glauben, dass auf diese Weise der Körper gereinigt und die Seele von dunklen Energien befreit wird. Anschließend, heißt es, soll der Wechsel in die transzendale Welt stattfinden. Die Leute beschreiben ein Gefühl des Einswerden mit dem Universum, des inneren Friedens und dem Kontakt mit einer höheren Macht. Während der gesamten Wirkungszeit von Ayahuasca bleiben die Menschen bei Bewusstsein und sind ansprechbar. Etwa 60-120 Minuten nach der Einnahme setzen die Halluzinationen ein. Am häufigsten werden Schlangen und Dschungeltiere in den Visionen beschrieben. Insgesamt hält die Wirkung von Ayahuasca 4-6 Stunden an.
Medizinisches Potential und Gefahren
DMT ist der Hauptwirkstoff von Ayahuasca, doch was macht DMT mit dem menschlichen Körper? DMT ähnelt Serotonin, einem natürlichen Neurotransmitter. Beide Stoffe gehören zur Klasse der Tryptamine und docken an die gleichen Rezeptoren an. Der Hauptrezeptor ist der 5-HT2A-Rezeptor (Serotonin wird auch 5-Hydroxytryptamin genannt), welcher vor allem im Zentralnervensystem vorkommt. Serotonin beeinflusst zum Beispiel die Schmerzempfindung und Gedächtnisleistung, sowie emotionale Prozesse.
Erkrankungen wie Migräne, Depressionen und Schizophrenie entstehen unter anderem durch eine Fehlsteuerung biochemischer Vorgänge an diesen Serotonin-Rezeptoren, sowie durch eine verringerte Dichte dieser Rezeptoren. Gängige Antidepressiva verhindern den Abbau von Serotonin und sorgen dafür, dass der Serotoningehalt aufrecht erhalten bleibt, um so den Einfluss auf die Stimmung zu erreichen.
Das in Ayahuasca enthaltene DMT wirkt ähnlich und deswegen wird dem Pflanzensud ein potenzieller medizinischer Nutzen zugeschrieben. Regelmäßige Nutzer:innen von Ayahuasca beschreiben eine Reduzierung der Depressionssymptomatik. Der Ansatz klingt logisch und vielversprechend, doch Hypothesen, dass DMT in Ayahuasca gegen Depressionen hilft, sind mit Vorsicht zu genießen. Bislang konnte nicht gezeigt werden, dass solche Effekte wirklich nur von DMT allein hervorgerufen werden. Denn die MAO-Hemmer, wie sie auch im Ayahuasca-Sud vorkommen, werden als Wirkstoff in den gängigen Antidepressiva genutzt.
Forschungsstudien zu Ayahuasca beschreiben zudem die Möglichkeit, den Sud medizinisch zu nutzen, um Abhängigkeiten zu bewältigen. Abhängigkeit von Alkohol, Opioiden und Sedativa sollen durch Ayahuasca-Gebrauch überwunden werden können. Die Bindung an 5-HT2A Rezeptoren reduziert die Dopamin-Ausschüttung im mesolimbischen Gehirnareal, jener Bereich, in dem das Belohnungszentrum sitzt. Die geringe Dopaminmenge verhindert die synaptische Umstrukturierung, die sonst essenziell zur Entwicklung von Abhängigkeiten beiträgt.
In Österreich ist DMT im Betäubungsmittelgesetz gelistet und somit illegal. Einige Länder im Amazonas-Gebiet gestatten den Gebrauch von Ayahuasca für religiöse Zeremonien. Auch wenn Ayahuasca häufig als „sicher“ beschrieben wird, birgt es einige Gefahren. Die Wahrscheinlichkeit zur körperlichen und psychischen Abhängigkeit ist gering. Doch vor allem die Nutzung von Ayahuasca in Kombination mit Medikamenten, die Einfluss auf das serotonerge System nehmen (z.B. Antidepressiva) kann gefährlich werden. Es wird dann so viel Serotonin im Körper frei, dass es zum Serotonergen Syndrom kommen kann. Der erhöhte Serotoningehalt löst Krampfanfälle aus und führt eventuell zu Koma und Tod.
Die Einnahme von psychedelischen Substanzen kann außerdem Psychosen auslösen. Vor allem bei Menschen mit Prädisposition für psychische Erkrankungen steigt die Wahrscheinlichkeit, durch Ayahuasca Psychosen zu entwickeln. Bei Menschen mit existierender bipolarer Störung kommt es häufig zu manischen Episoden in Folge des Ayahuasca-Gebrauchs.
Seit einigen Jahren gibt es in der Wissenschaft Diskussionen darüber, ob nicht auch das DMT selbst ein natürliches Halluzinogen ist. In Forschungsstudien konnte DMT in der Plazenta nachgewiesen werden. Hypothesen sagen, dass DMT in den ersten Entwicklungsprozessen eine Rolle spielt und dann das Level absinkt und für den Rest des Lebens niedrig bleibt. Es gibt aber auch Untersuchungen, die darlegen, dass DMT ein körpereigenes Stoffwechselprodukt ist und jederzeit im Gehirn, vor allem in der Zirbeldrüse entstehen kann. Bis heute ist nicht eindeutig geklärt, ob DMT eventuell als endogener Neurotransmitter wirkt. Und wenn ja, ist die nächste Frage, was die Funktion davon ist.
Die Forschung der psychedelischen Medizin ist ein sehr komplexes und dazu auch noch ein sehr unerfahrenes Feld der Wissenschaft. Die genaue Wirkungsweise vieler Stoffe ist ungeklärt: warum wirkt das eine Molekül an seinem Rezeptor überhaupt halluzinogen, während ein anderes Molekül am gleichen Rezeptor nicht halluzinogen wirkt? Die Kreativität des menschlichen Gehirns hat die Menschen schon immer fasziniert. Was sind die biochemischen Abläufe hinter Halluzinationen. Sind es die Gleichen, wie wenn ich nachts träume? Doch, wie heißt es so schön? Je mehr ich weiß, desto mehr weiß ich, was ich nicht weiß. Und vielleicht ist genau das die Motivation für den/die ein oder andere/n Wissenschaftler oder Wissenschaftlerin das Wollknäul zu entwirren.
© Bilder erstellt mit DALL·E von Open AI
Das Wirtschaftsgeschäft Ayahuasca
Besonders in Peru und Brasilien ist der Ayahuasca-Gebrauch tief in der indigenen Kultur verwurzelt. Ob religiöses Sakrament, zeremonieller Bestandteil oder medizinische Therapie, Ayahuasca findet überall einen Nutzen. Die zunehmende Globalisierung transportiert Wissen, Mythen und Legenden über Ayahuasca durch die ganze Welt. Immer mehr Menschen sind neugierig und schreiben „Ayahuasca Zeremonie“ auf ihre Bucket-List. Auch die Völker im Amazonas haben diesen Trend erkannt und aus ihrer Ayahuasca Tradition eine wirtschaftliche Goldgrube geschaffen: die Ayahuasca-Kliniken. In einem „All-inclusive“ Urlaub und geführt mit Guide kann man sich im Dschungel einen Ayahuasca-Trip buchen. Ein regelrechter Tourismus-Boom hat sich entwickelt. Die Menschen, die eine solche Reise buchen, sind aber keine Drogensüchtigen auf der Suche nach Luststillung, sondern oft Menschen mit spiritueller Neugier. Die Motive reichen von mentaler Gesundheit über Religion zu persönlichen Problemen, die gelöst werden sollen.
Doch der Run auf den Drogentourismus birgt auch Gefahren durch Scharlatanerie. Die professionelle Zusammensetzung des Suds ist entscheidend. Wählt man die falsche Liane, hat man schnell eine Vergiftung anstatt eines Trips. Zudem gefährdet die weltweite Bekanntheit über Ayahuasca auch ihren traditionellen Charakter. Biopiraterie durch zum Beispiel große westliche Pharmakonzerne stellen eine Bedrohung dar.
Auf ein Schlusswort: wie bei jedem Thema immer, gibt es auch hier Menschen, die dafür sind und Menschen, die dagegen sind. Menschen, die keine Ayahuasca Erfahrung brauchen und die, die diese Reise erleben wollen. Feststeht jedoch, dass Ayahuasca selbst und dem gesamten Feld der psychedelischen Medizin noch eine lange Reise bevorsteht.

Melanie
Redakteurin