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Uni, Wahlfachcheck

Wahlfach-Check: Medizin und Klimawandel

20. Feber 2025
Wie lassen sich Umweltschutz und Medizin miteinander verbinden?
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von Gianluca Purzer

Umweltverschmutzung, Emissionen, Klimawandel. Wer Medizin studiert, bekommt selten einen Einblick davon, welche ökologischen Kosten die moderne Medizin verursacht. Mit dem Wahlfach „Vom Klimaschutz bis zur sozialen Nachhaltigkeit: Planetare Gesundheit durch nachhaltige Gesundheitsversorgung, welches im letzten Sommersemester erstmals stattfand, soll damit Schluss sein. Abwechslungsreiche Gastvorträge gaben einen ernüchternden Einblick in verschiedene klinische, soziale und wirtschaftliche Aspekte, die uns in unserem Dasein als Ärzt:innen und schlichtweg als Menschen mit Sicherheit beschäftigen werden.

Ene Luftaufnahme zeigt Plastikmüll auf einer Mülldeponie am Stadtrand von Bengaluru am 23. November 2024©(IDREES MOHAMMED/AFP via Getty Images)

Warum gibt es erst seit letztem Semester ein Wahlfach, das einen Bezug zwischen Medizin und Klimawandel bzw. ökologischer Zerstörung herstellt? Spätestens seit dem ersten Bericht des Club of Rome im fernen 1972 sollte klar sein, dass unsere Ressourcen begrenzt sind und in mittelfristiger Zukunft Business as usual nicht mehr funktionieren wird. Auch im medizinischen Bereich.  

Abstrakt liegt es vielleicht daran, dass sich die moderne Medizin als etwas Externes begreift. In ihren Abläufen und Methoden unberührt von ökologischen und sozialen Krisen. Als ein weiterer Gesellschafts- bzw. Wirtschaftszweig, der glaubt, auf einem begrenzten Planeten ewig wachsen und sich ewig verbessern zu können. Auf die Rettung von einzelnen Leben im Moment bedacht.  

Konkret liegt es vielleicht auch an der Unwissenheit oder der Ohnmacht: Arbeitstage in der Klinik sind lang und anstrengend. Schicksale der Patient:innen oft die gesamten Gedanken einnehmend. Wenig Zeit und Kraft sich mit der Welt außerhalb zu beschäftigen. Dafür sind andere verantwortlich.  

Ähnlich die Studierenden. Zwar hat mittlerweile eine Generation ihre Ärzteausbildung begonnen, die u.a. in der Schulzeit durch Fridays for Future auf die ökologische und klimatische Krise sensibilisiert wurde, aber diese Sensibilisierung beeinflusst – um es polemisch auszudrücken – höchstens die Wahl der Einkaufstüte (*). Denn vieles kann von einzelnen Personen gelöst werden. Aber die komplette Weltwirtschaft umzukrempeln, das ist für junge Medizinstudierende faktisch mehrere Nummern zu groß. Dafür sind andere verantwortlich.  

Und wer hätte das gedacht, in beiden Fällen sind tatsächlich andere verantwortlich 

Vom Krankenhaus zum Treibhaus 

Das Gesundheitswesen ist für 4 – 5 Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Das entspricht mehr als der Summe der globalen Flug- und Schiffsemissionen. Dabei sind diese Treibhausgase nicht auf den gesamten Globus gleichmäßig verteilt. Wie bei den meisten Emissionen sind es vor allem reiche Nationen, die für einen Großteil verantwortlich sind. Spitzenreiter in Europa sind die Schweiz mit 1.02 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr, Deutschland mit 0.71 Tonnen, England mit 0.54 Tonnen und Österreich mit 0.799 Tonnen. Eine Katarakt-OP in Großbritannien bläst 30-mal so viel CO2 in die Luft wie die gleiche OP (unter weniger penibel sterilen Konditionen) in Indien, trotz vergleichbaren klinischen Ergebnissen und Komplikationsraten. In Zahlen ausgedrückt bedeutet das 0.18 Tonnen in Großbritannien gegen 0.006 Tonnen in Indien.  

Unter Treibhausgasen verstehen sich Gase, die einen Teil der thermischen bzw. Infrarotstrahlen, die unsere Planetenoberfläche ständig abgibt, absorbieren. Da diese Energie nicht ins Weltall entfliehen kann, potenziert sie als Gegenstrahlung die Oberflächenerwärmung, die durch direkte Strahlung stattfindet. Dieser Effekt kann sowohl einen natürlichen Ursprung haben, als auch einen anthropogenen – einen vom Menschen gemachten. Kurz gesagt: mehr Treibhausgase in der Atmosphäre bedeuten mehr Energie in der Atmosphäre und daher eine erhöhte Temperatur. Dieses “Gewächshaus-Phänomen” wurde bereits von Joseph Fourier 1824 beschrieben und von Claude Pouillet 1827 bestätigt.  

Medizinisch bedeutet dies, dass wir uns in Zukunft mit einer höheren Hitzebelastung auseinandersetzen müssen. Bereits jetzt ist die hitzebedingte Sterblichkeit bei Menschen über 65 Jahre zwischen 2000-2004 und 2017-2021 um etwa 85 Prozent gestiegen. Das bedeutet konkret, dass bereits heute fast 500.000 Menschen im Jahr frühzeitig an hitzebedingten Todesfällen sterben. Auch unsere schöne Alpenstadt Innsbruck bleibt nicht verschont. Durch den Hitzeinseleffekt kann es in der Innsbrucker Innenstadt bis zu 6 Grad wärmer sein als im städtischen Randbereich. 

Heatmap 19.02.25. Am besten ihr schaut im Sommer mal rein.  © Meteoblue. 

Lachgas und Co.

Vor allem die Anästhesie und die Intensivmedizin sind die größten Treiber der Emissionen innerhalb des Gesundheitssystems. Grund sind inhalativen Narkotika und die Lüftungstechnik im OP.

Der Treibhauseffekt volatiler Anästhetika wie Lachgas ist um ein vielfaches höher als jener von CO2. Zudem verweilen sie bis zu 114 Jahre in der Atmosphäre. Ähnlich verhält sich die Gruppe der Flurane, wie zB Desfluran; Isofluran, Serofluran, die zusätlzich die Ozonschicht beschädigen. Eine Flasche Desfluran, so wie sie im klinischen Alltag Verwendung findet, entspricht 900 kg CO2. Dem ensprechen fünf Flüge der Strecke Innsbruck-Wien oder dem in einem 180 Jahre alten Baum gespeicherten CO2.

Unsere ignorierte Lebensgrundlage

Was mich allerdings weit mehr beunruhigt, ist die Zerstörung unserer ökologischen Sphäre. Einige von euch werden sich denken: „Warum? In den Medien wird (wenn überhaupt noch) nur über Klimawandel berichtet. Ist nicht das weit schlimmer als ökologische Zerstörung?“. Warum beunruhigt es mich?

Zum einen weil die Menschen, die täglich Leben retten auch reine Luft zum atmen, unkontaminierte  Nahrung und Zugang zu sauberen Wasser benötigen. Zum anderen, weil Menschen, die diese Dinge nicht haben, über kurz oder lang an den Folgen der allgemeinen Verschmutzung frühzeitig sterben. 

Hinzu kommt, dass die Zerstörung der Biodiversität und Ökosphäre das Risiko von Infektionskrankheiten drastisch erhöht. Eine Metastudie aus dem Jahr 2024 ergab, dass 75 Prozent der neu auftretenden Infektionskrankheiten zoonotisch Ursprungs sind und häufig dort entstehen, wo Ökosysteme zerstört werden. 

Eine Beispiel aus Österreich. Jeden Tag wird eine Fläche in der Größe von 12 Fußballfeldern versiegelt. Wasser kann nicht gespeichert und gefiltert werden, Mikroorganismen sterben und der Boden verliert seine Fruchtbarkeit. 

Während die Bodenversiegleung in Österreich noch als „Tyrannei der kleinen Entscheidungen“ gelten kann, so wird an andere Orten im großen Stil destruktiv in das Ökosystem eingegriffen.

115.000 Fussballfelder Regenwald werden täglich gerodet. Und in Deutschland wurde vor kurzem festgestellt, dass der Deutsche Wald mittlerweile nicht mehr als CO2 Speicher fungiert, sondern zur Kohlenstoffdioxidquelle mutiert ist. 

Natürlicher Ursprung von Heilmitteln

Liefer- und Produktionsengpässe der letzten Jahre haben gezeigt, dass Medikamente nicht aus Luft entstehen, sondern irgendwo entwickelt, produziert und verschickt werden müssen. Dabei wird leicht übersehen, dass viele Medikamente einen natürlichen Ursprung haben. Penicillin entspringt aus dem Pilz Penicillium Chrysogenum, Morphin aus Schlafmohn und Aspirin aus Weidenrinde Salix Alba. Die Fachzeitschrift The Lancet macht darauf aufmerksam, dass bis zu 70 Prozent aller Krebsmedikamente entweder direkt aus natürlicher Herkunft sind oder Wirkungsstoffe von der Natur inspiriert sind. Und in Anbetracht dessen, dass zum einen Antibiotika-Resistenzen zunehmen und zum anderen noch nicht für annähernd jede Krankheit eine Therapie zur Verfügung steht, scheint es grob fahrlässig, den möglichen Ursprung neuer, revolutionierender Wirkstoffe ohne weitere Bedenken zu zerstören.  

Meeresbodenbergbau (Deep Sea Mining) soll Industrievertreter:innen zufolge die einzige Möglichkeit sein, unsere Wirtschaft zu dekarbonisieren. Am Meeresgrund würde es sowieso wenig Lebendiges geben. Eine profitable, aber faktisch falsche Annahme, da ständig neue, unbekannte Arten in den Tiefen des Meeres entdeckt werden, die möglicherweise ein unbekanntes Potenzial in sich tragen.  

Es schaut schlecht aus

Der kürzlich verstorbene schwedische selbsternannte “Scienceentertainer” Hans Rosling argumentiert in seinem Buch Factfulness, dass die Welt in einem viel besseren Zustand sei, als von vielen Weltuntergangspropheten angenommen. Um dies zu beweisen, stellte Rosling hunderten Menschen aus Politik und Wirtschaft eine Liste von Fragen, die deren Wissen über die Welt auf die Probe stellen sollten. Eine dieser Fragen zielte darauf ab, dass 1996 Tiger, Spitzmaul-Nashörner und Riesenpandas vom Aussterben bedroht waren und wie viele von diesen Tieren wohl heute (2019) noch auf der Endagered-Species-Liste seien. Tatsächlich waren diese drei Arten nicht mehr bedroht und wie zu erwarten, lagen viele Leute in ihrer Antwort falsch. 

Rosling verwendete dies, um zu beklagen, dass Umweltaktivisten sich nicht genug darauf konzentrieren, erfolgreiche Beispiele hervorzuheben. Allerdings nennt die Frage nur drei prominente Beispiele: Tiger, Riesenpandas und schwarze Nashörner. Sie lässt dabei völlig außer Acht, dass durch die Zerstörung von Feuchtgebieten, Wäldern und anderen Ökosystemen durch den Menschen schätzungsweise eine Million Arten vom Aussterben bedroht sind. Der jüngste Living Planet Report aus dem Jahr 2024 bestätigt, dass in den letzten 50 Jahren die Population an beobachteten Tieren in freier Wildbahn um 73 Prozent gesunken ist. Da sind einige Tiger mehr nur bedingt Grund zur Hoffnung. Vor allem wenn ich daran denke, dass 2020 bereits errechnet wurde, dass es mehr Menschengemachtes als Biomasse gibt. 

Der Living Planet Index (LPI) des WWF zeigt seit den 1970er-Jahren einen drastischen Rückgang der globalen Tierbestände um 73 Prozent, was die weiterhin schlechte Gesundheit der Biodiversität und die Schwächung von Ökosystemen trotz Schutzmaßnahmen verdeutlicht. ©WWF

Wasserverschmutzung durch Medikamente 

Propofol ist ein intravenöses Anästhetikum in Form einer Fettemulsion. Funktioniert einwandfrei, wenn das Ziel ist den Patienten ein angenehmes Einschlafen zu ermöglichen und die Übelkeitsgefühle in Grenzen zu halten. Propofol hat allerdings zwei Nachteile. Zum einen führt die Einbettung in Fett dazu, dass weltweit ca. 30 – 50 Prozent des aufgezogenen Propofols verworfen wird, weil es sich um einen idealen Nährstoff für Keime handelt. 

Zum anderen wird Propofol einer Studie zufolge nicht vollständig im Körper abgebaut und landet vom Klo in die Kläranlage und dann in Gewässer, wo es als Forever chemical mit vielen anderen Medikamenten langsam das Ökosystem verändert. 

Wahlfach Klimawandel und Medizin

Diese ganzen Fakten mögen bedrückend wirken. Zumindest sind sie es für mich. Aber was ich hier nicht erwähnt habe und im Wahlfach ausgiebig besprochen werden sind die vielen Lösungsansätze und Experimente, die weltweit stattfinden, um das moderne Gesundheitssystem klimafreundlicher, ökologischer und resilienter zu gestalten. Über die Geschwindigkeit und Effektivität dieses Fortschritts lässt sich diskutieren. Aber was sich nicht wegdiskutieren lässt ist, dass er existiert. Vorangetrieben von vielen motivierten und tatkräftigen Ärzten und Ärztinnen, Pfleger/innen und Administrativen Personal. Menschen, von denen wir viel lernen können und die mir gezeigt haben, dass viele in unserer Branche keine Scheuklappen tragen und sich der Probleme sehr wohl bewusst sind und versuchen im kleinen was zum positiven zu wenden.Daher kann ich euch dieses Seminar, dass von Dr. Sabine Scholl-Bürgi organisiert wird, nur ans Herz legen. 

Hard Facts:

Name der VU: Vom Klimaschutz bis zur sozialen Nachhaltigkeit: Planetare Gesundheit durch nachhaltige Gesundheitsversorgung (Wahlfach)

Vortragende: Dr.med. Sabine Scholl-Bürgi, Dr.med. Heinz Fuchsig, Patrick Rodrigues PhD, Dr.med. Janette Kreutziger 

Anmeldung: Ab sofort. Email an sabine.scholl-buergi@tirol-kliniken.at

 
 
Anmerkungen

(*) Was ist meine Grundlage für diese verallgemeinernde-der Jugend ein Klimabewusstsein absprechenden Haltung? Zum einen leben wir in einem System das wirtschaftliches Wachstum benötigt. Dieses Wachstum lässt sich allerdings nicht von Energie und Ressourcenverbrauch entkoppeln. Auch wenn es von Regierungen und Unternehmen seit Jahren gepredigt wird und von heterodoxen Ökonomen als bloße Fantasie enttarnt wurde. Das führt dazu, dass Konsum beibehalten werden muss, um die Wirtschaft am laufen zu halten. Sei es durch Werbung, Abwrackprämien, Subventionen oder Kredite. Der Soziologe Karl Marx durchlebte eine Transformation in seinem Denken dahingehend, da er verstand, dass es nicht das Bewusstsein der Menschen sei, das ihr Sein bestimme, sondern das gesellschaftliche Sein (Marx, K. (1970). Zur Kritik der politischen Ökonomie (MEW Bd. 13, S. 9). Dietz Verlag). Das bedeutet, dass unser Denken, unsere Taten und unser Leben innerhalb eines gesellschaftlichen Kontext stattfinden. Dieser wiederum ist von einem allumfassenden Konsumnarrativ geprägt. Erfolg bedeutet das schickste Auto, Erfolg bedeutet 500 Quadratmeter mit Pool und Sauna. Erfolg bedeutet ein ständiger Strom an neuen Dinge. Auf die Spitze getrieben durch YouTube Channels wie Unboxing Therapy oder Produkten wie Mystery Box die Schrott als Neuigkeitskick verkaufen. Warum und wie sollten junge Menschen dieser Kultur entkommen, die ihnen tagtäglich seit Geburt vorgelebt wird? Gar nicht lautet die einfache Antwort. Sie sind was wir Ihnen vorleben und wir sind was uns vorgelebt wurde. Keinesfalls möchte ich an dieser Stelle generalisieren. Was vorgelebt wird und als Erfolg gilt, kann bei weitem nicht von allen ausgelebt werden. In Anbetracht, dass bereits jetzt das reichste Prozent der Weltbevölkerung so viel CO2 Emissionen verursacht wie die ärmere Hälfte, wäre es ein Ding der Unmöglichkeit alle am Erfolg teilhaben zu lassen. Ein Beispiel soll meinen Punkt verdeutlichen. Die Internationale Luftverkehrsvereinigung geht selbst 2023 in einer Publikation davon aus, dass sich die Menge an beförderter Personen bis ins Jahr 2040 verdoppeln wird. Mehr Fluggäste bedeutet mehr Flieger. Konkret 15000 mehr Flieger, die zu den bereits 25000 dazukommen. Das bedeutet wiederum mehr CO2 Emissionen. Und Technologischer Fortschritte wird dieses Wachstum bei weitem nicht abfangen können. Der ehemalige Qatar Airways CEO geht sogar davon aus, dass der Versuch der Flugindustrie Carbon Neutral bis 2030 oder 2050 zu sein, nichts weiteres als ein PR Stunt sei. Also Wachstum und Energieverbrauch wohin man schaut. 

Gianluca Purzer

Gianluca Purzer

Redakteur

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