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Das Herlyn-Werner-Wunderlich-Syndrom

15. Mai 2025
Wenn sich eine seltene Entwicklungsstörung als wunderliches Rätsel der Gynäkologie entpuppt
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von Theresa Steinwendtner

Herlyn-Werner-Wunderlich-Syndrom. Als ich diese Diagnose das erste Mal hörte, hatte ich Schwierigkeiten, mir überhaupt den Namen zu merken, geschweige denn – obwohl ich im dritten Jahr des Medizinstudiums zumindest die Illusion hatte, ein bisschen Ahnung zu haben – wusste ich nicht, was genau dieses Syndrom überhaupt war. Als dann auch meine Gynäkologin meinen MRT-Befund vorliegen hatte und googeln musste, was für eine Fehlbildung ich hatte, erkannte ich, dass das alles nicht so einfach werden würde.

Aber beginnen wir einmal von vorne:

 

Das Herlyn-Werner-Wunderlich-Syndrom, kurz auch HWWS genannt, ist eine seltene Entwicklungsanomalie der weiblichen Geschlechtsorgane. Die Dunkelziffer des genauen Vorkommens dürfte, durch die Schwierigkeit der Diagnostik, höher liegen, momentan geht man allerdings von einer Inzidenz von etwa < 1:1.000.000 aus. Das HWWS zeichnet sich durch einen Uterus Didelphys – einer Doppelanlage des Uterus und der Vagina -, obstruierter Hemivagina und einer ipsilateralen Nierenagenesie – das Fehlen einer Niere, auf der gleichen Seite der obstruierten Hemivagina – aus. In der Regel ist jeder Uterus mit einem Ovar verbunden und technisch gesehen funktionsfähig, allerdings hat durch die obstruierte Hemivagina nur einer der beiden Uteri eine offene Mündung in die Vagina. Das bedeutet also, dass in der obstruierten Hälfte des Uterus Menstruationsblut in der Hemivagina bzw. dem Hemiuterus akkumuliert und dadurch zu Hämatomen oder Hämorrhagie führen kann.

Die Diagnostik ist meist schwierig, da es bei vielen Fällen oft und lange zu keinen Beschwerden kommt. Hinweise auf das Herlyn-Werner-Wunderlich-Syndrom sind aber zyklusabhängige Schmerzen im Unterbauch, die sich über die Jahre oft verschlimmern, unregelmäßige Menstruation, vaginaler Ausfluss und Spotting. Bestätigt wird die Diagnose HWWS mithilfe eines MRTS, eines CTs oder gegebenenfalls auch Ultraschalluntersuchungen.

 

Zwar ist eine Schwangerschaft auch mit dem Herlyn-Werner-Wunderlich-Syndrom möglich, die Fehl- und Frühgeburtenrate ist jedoch erhöht, da die Uteri schmaler sind und es so zu Entwicklungsdefiziten des Embryos kommen kann. Zudem ist bei einem Kaiserschnitt durch ein erhöhtes Blutungsrisiko Vorsicht geboten.

Die genaue Entwicklung des Herlyn-Werner-Wunderlich-Syndroms ist noch nicht ganz geklärt, hier aber ein kurzer Exkurs in die Embryologie: Es wird angenommen, dass die multiplen Fehlbildungen durch eine Entwicklungsstörung zwischen der 5.-11. Schwangerschaftswoche ausgelöst werden. In dieser Zeit entsteht aus dem intermediären Mesoderm, das eines der drei Keimblätter ist, das Urogenitalsystem, also die Harnorgane und die Geschlechtsorgane. Genauer gesagt bildet sich das Urogenitalsystem aus dem Müller-Gang (Ductus paramesonephricus) und dem Wolff-Gang (Ductus mesonephricus). Der Müller-Gang entwickelt sich– zumindest in der weiblichen Genitalentwicklung – zum Uterus, der Vagina und der Tuba Uterina. Aus dem Wolff-Gang entsteht die Ureterknospe und im späteren Verlauf die Nierenbecken, die Nierenkelche, das Sammelrohrsystem und die Harnleiter.

 

Der Müller-Gang verläuft zunächst lateral des Wolff-Gangs und es wird für die Entstehung des Herlyn-Werner-Wunderlich-Syndroms vermutet, dass es während der Organogenese zu miteinander in Verbindung stehenden Fehlbildungen kommt. Normalerweise entsteht der Uterus aus der Verschmelzung der Müller-Gänge, erfolgt diese Fusion jedoch nicht oder nur fehlerhaft, sind  Fehlbildungen der Gebärmutter die Folge. Im Detail konnte die genaue embryonale Entstehung des HWWS noch nicht geklärt werden.

Nierenagenesie beim Herlyn-Werner-Wunderlich-Syndrom  © (1) 

Nun aber zu meiner Diagnose mit dem Herlyn-Werner-Wunderlich-Syndrom.

 

Ein Jahr zuvor

Dass ich eine Einzelniere links habe, wurde schon in meiner Kindheit diagnostiziert. Lange habe ich mir dabei aber nichts gedacht, habe das als beinahe unwichtig abgetan – wie man es als Kind eben so macht. Als ich jedoch im Sommer 2023 meine Gynäkologin gewechselt habe, entdeckte meine Ärztin im Ultraschall eine Abnormalität und verwies mich an die gynäkologische Hormonambulanz, die wohl bessere Sonographie Geräte zur Verfügung haben.

 

Dort angekommen, wurde mir gesagt, es sehe alles normal aus, bis ich einen Monat später wieder einberufen wurde und der Oberarzt den Verdacht meiner Gynäkologin bestätigte. Irgendetwas stimmte nicht. Also gab man mir einen Termin für ein MRT, auf den ich – wie könnte es anders sein – sechs Monate warten musste, in denen ich mir jedes erdenkbare und schreckliche Szenario ausmalte. Drei Tage nach meinem MRT – während dem ich mir sagte, dass ich, wenn ich wieder einmal eine MRT-Aufklärung machen müsste, zumindest wusste, wovon ich sprach – kam die Ernüchterung. Bei dem Besprechungstermin hatte ich absolut keinen blassen Schimmer, was ich mir genau unter dem Herlyn-Werner-Wunderlich-Syndrom vorstellen konnte. Und auch die Gynäkologen wussten es nicht genau.

Wie auch, wenn diese Entwicklungsanomalie nur ein Mal in 1.000.000 auftaucht? In dem MRT-Befund zeigte sich ein Uterus Didelphys mit Obstruktion der linken Zervix uteri mit einem Septum am cervicovaginalen Übergang mit einer Hämorrhagie.

Kurz gesagt, mein Zustand entsprach haargenau der Beschreibung des Herlyn-Werner-Wunderlich-Syndroms. Zudem wurde festgestellt, dass – trotz der Nierenagenesie links – ein blind endender Ureter vorhanden war. Mit diesem Befund wurde ich auf die Urologie überwiesen, die gemeinsam mit den Gynäkologen beschlossen, dass sie mich operieren würden, zum einen, um das Septum am linken cervicovaginalen Übergang zu öffnen und zum anderen um den blind endenden linken Harnleiter und den Nierenrest zu entfernen.

 

Etwa zwei Monate nach meiner Diagnose fand die OP statt und um ehrlich zu sein, ist so ein roboterassistierter Eingriff aus Sicht eines Patienten nur halb so lustig, als stände ich als Famulantin auf der anderen Seite und könnte ohne emotionale Beteiligung einer interessanten OP zuschauen. Von urologischer Seite wurde eine roboterassistierte Laparoskopie durchgeführt um den Harnleiterrest und den Nierenrest, der sich inzwischen zu einer Zyste entwickelt hatte, zu entfernen, was auch problemlos gelang. Die Gynäkologen versuchten das Septum am cervicovaginalen Übergang zu öffnen, allerdings konnte es, aufgrund von Nicht-Darstellbarkeit, nicht erfolgreich eröffnet werden.

Das bedeutet also für mich, dass ich weitere Untersuchungen und Arztgespräche abwarten muss, um zu wissen, wie meine nächsten Schritte in Bezug auf das HWWS aussehen werden. Und trotz der Schwierigkeiten der OP und des noch fraglichen, weiteren Behandlungsplans bin ich dankbar für die Bemühungen meiner Ärzte und hoffe, dass sich durch weitere Forschung die Sichtbarkeit und die Behandlung des Herlyn-Werner-Wunderlich-Syndroms verbessert.

Heute

Seit ich diesen Artikel geschrieben habe, ist inzwischen mehr als ein Jahr vergangen. Und während ich damals noch ungewiss in die Zukunft blickte – nicht wissend, wie es weitergehen würde, und wartend, ob die Ärzt:innen mir noch eine andere Lösung vorschlagen würden, habe ich nun beinahe damit abgeschlossen. Gut, soweit das eben bei einem Syndrom möglich ist, das mich mein ganzes Leben lang begleiten wird. 

 

Nachdem die erste Operation nicht das gewünschte Ergebnis gebracht hatte, beschloss ich mir schließlich in Innsbruck eine Zweitmeinung einzuholen. Also stellte ich mich an der gynäkologischen Ambulanz der Tirol-Kliniken vor und diesmal fiel es mir bereits viel leichter – auch dank der Operations- und MRT-Berichte – meinen Zustand zu beschreiben. Schnell wurde ein Operationstermin festgelegt, um das Septum am linken cervicovaginalen Übergang zu öffnen. Vor dieser neuerlichen Operation war meine Sorge, dass es auch dieses Mal nicht funktionieren würde, sehr groß, weshalb ich mit dementsprechender Unsicherheit im Krankenhaus aufgenommen wurde. Diese Unsicherheit wurde mir jedoch schnell genommen, da Dr. Hosa und Dr. Fessler, die meinen Fall betreuten, mir das Vorgehen genau erklärten und mir Platz für jedwede Frage einräumten.  

Meine erste Frage nach der Operation – an die ich mich zumindest erinnern kann – war, ob es diesmal endlich vorbei war. Die Antwort darauf lautete zu meiner großen Erleichterung: Ja. 

Dr. Hosa und Dr. Fessler eröffneten das Septum durch einen vaginalen Zugang, und obwohl die Operation wohl schwierig gewesen war, hatten sie es doch geschafft: Nach einigen Tagen im Krankenhaus wurde ich mitsamt einiger Rezepte für Antibiotika und Schmerzmittel entlassen, diesmal mit großer Hoffnung. Denn, obwohl sie das Septum eröffnet hatten, bestand immer noch das Risiko, das es wieder zuwachsen würde. Über die folgenden Wochen und schließlich Monate, hatte ich einige Kontrollen, zuerst an der gynäkologischen Ambulanz und dann bei meiner Gynäkologin. Das Ergebnis: Zwei funktionsfähige Uteri.  

 

Über die nächsten Jahre werde ich zwar noch häufiger gynäkologische Kontrolltermine haben als normalerweise üblich, trotzdem blicke ich bezüglich meines wunderlichen Syndroms zuversichtlich der Zukunft entgegen. Mein Dank gilt allen Ärzt:innen, die mich über das letzte Jahr betreut haben, insbesondere Dr. Hosa und Dr. Fessler, bei denen ich mich immer sehr gut aufgehoben gefühlt habe!


Quellen (Text): 
Theresa Steinwendtner

Theresa Steinwendtner

Redakteurin

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