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Transgenerationale Weitergabe von Traumata

16. September 2024
Transgenerationale Weitergabe von Traumata: Wenn aus Wunden tiefe Narben werden.
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von Hannah Daxer

Von Transgenerationalem Trauma“ spricht man ab einer Weitergabe an die dritte Generation. Wird das Trauma an die direkt nachfolgende Generation
weitergegeben, wird dies als „sekundäre Traumatisierung“ bezeichnet.

Doch wie können Traumata vererbt werden und welche Forschungsergebnisse liegen bis dato vor?


Einen wichtigen Begriff stellt die Epigenetik dar: Die Epigenetik beschäftigt sich mit Mechanismen, die das Genom von Menschen, Tieren und Pflanzen beeinflussen und regulieren können, ohne den genetischen Code an
sich zu verändern. Denn alles, womit der Körper von außen oder von innen in Kontakt kommt, hat einen Einfluss auf die Epigenome, dazu zählen unter anderem das Essverhalten, Rauchen oder Stress. Vor allem in Kindheit und Jugend sind die Epigenome einem starken Wandel unterworfen, denn der Organismus entwickelt sich in diesem Zeitraum besonders stark und wird damit stärker modifizierbar. Es kann zwar wissenschaftlich nicht hundertprozentig belegt werden, dass exakt die epigenetischen Prozesse für die Traumaweitergabe verantwortlich sind, jedoch ist es sehr wahrscheinlich, dass Menschen mit traumatischer Vergangenheit gewisse Symptome an Nachkommen weitergeben. Und Fakt ist, dass epigenetische Faktoren vererbbar sind.

Der nicht-kodierende Anteil der DNA (ncDNA) überträgt genau die Merkmale, die wir für die Anpassung an unser Umfeld brauchen. Dies kann jedoch dazu führen, dass ein Kind epigenetisch auf etwas vorbereitet wird, das in der Realität gar nicht zutreffend ist. Wenn die Mutter zum Beispiel während der Schwangerschaft oft unter Stress leidet, können Stresshormone die Plazentaschranke passieren und in den fötalen Blutgefäßen in Eingeweiden eine stärkere Kontraktion bewirken. Dadurch wird mehr Blut in die Peripherie des Körpers transportiert und der Fötus wird auf ein Kampf-Flucht-Verhalten vorbereitet, das in diesem Ausmaß im später tatsächlich vorhandenen Umfeld eigentlich gar nicht nötig wäre.

Generell ist wichtig zu beachten, dass bereits in den Eierstöcken der zukünftigen Mutter, während sie selbst noch ein Embryo ist, Vorläuferzellen der Eizellen vorhanden sind, aus denen später ihr Kind hervorgeht. Das bedeutet, dass jeder Mensch vom gleichen biologischen Umfeld wie 2 Generationen vor sich geprägt wird. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt nur Spuren der 3. Generation vorhanden sind, so sind sie doch existent. Ähnliches trifft auf den Vater zu, mit einem wichtigen Unterschied:
Der Eizellenvorrat einer Frau ist zum Zeitpunkt ihrer Geburt bereits endgültig, die Samenzellen des Mannes vervielfachen sich aber auch in der Pubertät weiter und sind somit beinahe bis zum Zeitpunkt der Empfängnis anfällig für Spuren von Traumata.

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Umgebungssignale können eine Zelle anweisen, ein bestimmtes Gen zu aktivieren oder auszuschalten.

Ein bekannter Prozess ist die DNA-Methylierung: Durch die Methylierung wird ein Anheften von Proteinen an ein Gen verhindert, womit die Aktivität des Gens heruntergefahren wird. Unregelmäßigkeiten in der DNAMethylierung, die von Forschern beim Auftreten eines Traumas oder Stressfaktors beobachtet werden konnten, können eine Anfälligkeit für physische oder psychische Gesundheitsprobleme an die folgenden Generationen weitergeben. Auch bei microRNA konnte ein Einfluss auf die Genexpression bei den Nachkommen beobachtet werden. Zwei Beispiele für solche Gene sind die CRF-Gene 1 und 2 und das FKBP5-Gen: Die CRF-Gene 1 und 2 (CRF = corticotropin-releasing-hormone-receptor) kommen vermehrt bei Personen mit Depressionen und Angststörungen vor.

 

Dieses Phänomen wurde 2005 in einer Studie der Neurowissenschaftlerin Rachel Yehuda untersucht. Sie fand heraus, dass Frauen, die im zweiten oder dritten Trimester schwanger waren, und bei den Terroranschlägen auf das World Trade Center vom 11.9.2001 vor Ort oder in der Nähe des Tatorts gewesen waren und danach eine PTBS (= Posttraumatische Belastungsstörung) entwickelten, Kinder gebaren, die einen niedrigen Cortisolspiegel aufwiesen. Diese Kinder zeigten auch eine deutlich empfindlichere Reaktion auf neue Reize. Ein niedriger Cortisolspiegel beeinträchtigt die Fähigkeit, sich emotional zu regulieren und Stress zu bewältigen. Die Säuglinge waren außerdem unterdurchschnittlich klein.

Insgesamt wurden 16 Gene entdeckt, die anders exprimiert wurden, wenn sich nach den New Yorker Anschlägen eine PTBS bei den Müttern entwickelt hatte. Auch das FKBP5-Gen spielt eine Rolle bei der Stressregulierung und wurde von Rachel Yehuda und ihrem Team untersucht. Kinder von Juden und Jüdinnen, die im Rahmen des Holocausts traumatische Erlebnisse erlitten, zeigten an exakt derselben Stelle des CRF-Gens epigenetische Merkmale wie ihre Eltern.

Hingegen konnte dieses Merkmal bei Juden und Jüdinnen, die während des 2. Weltkrieges außerhalb von Europa gelebt hatten, nicht nachgewiesen werden. Stress hängt auch eng mit dem Immunsystem zusammen: Das Hormon Cortisol bewirkt bei physiologischer Ausschüttungsaktivität eine kurzfristig erhöhte Leistungsfähigkeit, indem es die Gluconeogenese im Körper ankurbelt, also dabei hilft, Glucose bereitzustellen. Wird jedoch zu viel Cortisol ausgeschüttet, beispielweise bei chronischem Stress, drückt sich dies genau gegenteilig aus und die Leistungsfähigkeit nimmt ab, der Körper ist überlastet und es kann zu Schlafstörungen, Depressionen oder anderen Beschwerden kommen. Nervenzellen und Immunzellen können direkt miteinander kommunizieren und wenn die Cortisolsekretion chronisch erhöht ist, werden Immunreaktionen unterdrückt und das Immunsystem geschwächt.

Neurotransmitter und Hormone, die bei psychischer Belastung ausgeschüttet werden, bewirken nämlich über Rezeptoren eine verminderte Erregbarkeit von Lymphozyten. Im Umkehrschluss steigt die Infektanfälligkeit.

Gabor Maté – kanadischer Mediziner © (2) 

Der in Ungarn geborene, kanadische Mediziner Gabor Maté sagt in einem Interview mit dem britischen Unternehmer Steven Bartlett, dass nicht eine psychische Erkrankung, sondern die Sensibilität für verschiedene psychische Krankheiten vererbt werde, wenn ein bestimmtes Gen stärker exprimiert wird. Diese verstärkte Exprimierung mache empfänglicher dafür, müsse jedoch nicht zwingend zu einer Erkrankung führen, da das Umfeld, in dem ein Mensch aufwächst, den entscheidenden Einfluss habe.

Bekanntlich sind die ersten drei Lebensjahre entscheidend für die Entwicklung einer Bindung zwischen Mutter und Kind beziehungsweise auch zu anderen Bezugspersonen, da sich das Kind in diesem Zeitraum am schnellsten entwickelt. „As infants we are narcissists, we think it’s all about us.”, erklärt Gabor Maté. Kinder würden alles persönlich nehmen und daher beispielsweise den Stress oder den Unmut der Mutter als die eigene Schuld interpretieren. (Der Podcast mit Interview ist auf Spotify zu finden unter „The Childhood Lie That’s Ruining All Of Our Lives – The Diary Of A CEO with Steven Bartlett”.)

Alles in allem ist die transgenerationale Weitergabe von Traumata inklusive der epigenetischen und psychoneuroendokrinologischen Hintergründe ein Gebiet mit viel Forschungspotenzial.

Bei einigen Informationen, die bei aktuellem Forschungsstand vorliegen, handelt es sich um Fakten, bei anderen jedoch noch um Thesen, die bisher nicht ausreichend untersucht wurden oder wo nicht ausreichend viele Forschungsergebnisse vorliegen. Das Thema ist komplex, aber sicherlich wird es in der Zukunft neue Erkenntnisse geben, die etwas mehr Licht ins Dunkel der weitreichenden Zusammenhänge von Immun-, Nerven- und Hormonsystem und deren Auswirkungen auf die menschliche Psyche und die Weitergabe von Traumata bringen.

 

 


Quellen (Text): 
Hannah Daxer

Hannah Daxer

Redakteurin

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