Thema, Feminismus

Sind Schwangerschafts
-abbrüche in Deutschland überhaupt noch möglich?

17. Mai 2021
Warum der Importstopp von Cytotec® in Deutschland den Zugang zu medikamentösen Schwangerschaftsabbrüchen noch weiter erschwert
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von Clara Valio Ottowitz

Am 04.03.2021 informierte die Tagesschau in einem Artikel über den Importstopp von Cytotec® in Deutschland.[1] Cytotec® mit dem Wirkstoff Misoprostol, ein Prostaglandin E1-Analogon, wird zur Behandlung von Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüren verwendet. Im Off-Label-Use findet es seit Jahrzehnten aufgrund seiner kontraktilen Wirkung auf den Uterus außerdem viel Aufmerksamkeit in der Gynäkologie und Geburtshilfe.[2] Der in Cytotec® enthaltene Wirkstoff Misoprostol mit einer Dosierung von 200 μg ist sogar auf der WHO-Liste der „Essential medicines“ angeführt, da er bei Fehlgeburten und bei lebensbedrohlichen Blutungen nach der Entbindung unerlässlich ist.[3]

In letzter Zeit findet Cytotec® im Zusammenhang mit dem Importstopp immer mehr Aufmerksamkeit in den Medien. Aber warum?  

Misoprostol kann zur Geburtseinleitung verwendet werden. Eine Nebenwirkung nach Überdosierung oder zu häufiger Anwendung kann die sog. Überstimulation der Gebärmutter, auch als „Wehensturm“ bekannt, sein. Medien wie die Tagesschau und der BR berichteten, dass diese Form der Komplikation nach Gabe von Cytotec® zu schwerwiegenden Zwischenfällen geführt hat, nachdem die Gebärmutter gerissen ist.[4][5] Cytotec® wird in einer Dosierung von 200 μg angeboten. Die WHO empfiehlt Misoprostol zur Geburtseinleitung in einer Dosis von 25 μg im Abstand von zwei Stunden.[6] Wenn also Cytotec® zur Geburtseinleitung verwendet wird, muss die Tablette geteilt werden, was ungenaue Dosierungen und damit Komplikationen zur Folge haben kann.  

Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (DGGG) entgegnet in der Stellungnahme zur Berichterstattung über „Cytotec zur Geburtseinleitung“, dass Geburten nach vorangegangener Kaiserschnittentbindung oder anderen Uterusoperationen betroffen sind. Unabhängig von einer Geburtseinleitung gebe es in solchen Fällen immer das Risiko einer Uterusruptur. Es sei bekannt, dass dann Misoprostol und weitere wehenauslösende Wirkstoffe nicht verwendet werden dürfen. Die Komplikationen beschränken sich also nicht auf den Off-Label-Use von Cytotec®! Zudem wird betont, dass zur Geburtseinleitung sowieso nicht Cytotec®, sondern ein Misoprostol-Präparat mit geringerer Dosierung verwendet werden soll.[7] Daher ist diese neue Zugangsbarriere „besorgniserregend, da hierdurch verschiedene Behandlungsfelder betroffen sind, die nichts mit der Geburtseinleitung zu tun haben!“[8]  

Auch „Doctors for choice“ – ein Netzwerk von Ärzt:innen und Medizinstudierenden – äußert sich kritisch zu den neuen Zugangshürden für Cytotec®. Der Importstopp würde nämlich genau das Gegenteil von Sicherheit erreichen: „Es macht nur viele andere Situationen in der Gynäkologie und Geburtshilfe unsicherer, in denen das Präparat dringend benötigt wird und nimmt Schwangeren eine Entscheidungsoption zur medikamentösen Einleitung.“[9]

In der Debatte geht außerdem unter, dass Cytotec® auch für medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche verwendet wird.  

Die DGGG gibt vor, dass 600-800 μg Misoprostol als zweites Medikament eingenommen werden müssen, damit sich die Gebärmutter kontrahiert und der Embryo oder Fötus ausgestoßen werden.[10]  Es gibt nur zwei Alternativen zu Cytotec®: MisoOne® und Angusta®. Bei MisoOne® wird kritisiert, dass der bürokratische Aufwand zu hoch sei, weswegen weniger Praxen medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche anbieten würden. Angusta® gibt es nur in der Dosierung von 25 μg. Ihr könnt euch selbst ausrechnen, wie viele Tabletten geschluckt werden müssten… (Es wären 32).[11]

In einem offenen Brief der Fachverbände fordern 16 Organisationen – darunter die DGGG, die Deutsche Gesellschaft für Perinatale Medizin e.V. (DGPM), Ärztinnen pro choice Berlin e. V., der Berufsverband der Frauenärzte e. V. (BVF) und viele weitere, „die Versorgung der Frauen in Deutschland mit Misoprostol in den jeweils benötigten Dosierungen zu gewährleisten und den erschwerten Zugang zu Cytotec® zurückzunehmen.“[12]

Clara

Clara

Redakteurin